Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

Obgleich erstaunt und sprachlos ob des kühnen 
Mutes seines Gegners, nimmt Robespierre an 
und das Spiel beginnt. 
Lautlose Stille herrscht im ganzen Raum, 
nur die Fliege summt ihr düsteres Lied, nur 
das Vorwärtsrücken der Figuren stört bald 
lauter und bald leiser die feierliche Ruhe. All¬ 
mählich füllt sich der Saal mit Zuschauern. Ge¬ 
räuschlos treten sie an den Tisch heran, um 
das ernste Spiel und seinen Ausgang zu be¬ 
trachten. Aus ihren Augen liest man deutlich, 
daß sie dem jungen Mann den Sieg des Spie¬ 
les gönnten, wenn dieses in ihren Händen läge. 
Auf seinen vollen Wangen glüht ein hei¬ 
ßes Rot, in seinen Zügen ziehen fieberhaft die 
Muskeln, sein Atem scheint zu stocken, nur sein 
Herz schlägt laut und läßt die Brust gewalt¬ 
sam sich heben und sich wieder senken. Sein 
Auge ruht unverwandt auf den Figuren, nur 
einmal blickt er auf, um dem Auge des Dikta¬ 
tors zu begegnen. Der Jüngling schrickt zu¬ 
sammen und als nun vollends die kalte Hand 
Robespierres die seine streift, da tritt der helle 
Schweiß auf seine Stirne. Was mag es sein, 
was dieses Herz bewegt? Nach all den An¬ 
zeichen gewiß nichts Gutes; nein, eine solche 
Sprache spricht nur innere Qual und Seelen¬ 
leid. 
Trotz alledem verliert er keinen Augenblick 
den scharfen Blick bei seinem Spiele und Ro¬ 
bespierre muß gestehen, daß er sich mit einem 
Meister im Schachspiel eingelassen hat. Minute 
um Minute ist bereits dahingeschwunden, noch 
ist von keinem der beiden Spieler ein „Schach" 
geboten, als plötzlich von den rosaroten Lippen 
des jugendlichen Spielers an Robespierres 
Ohr ein kaum vernehmbares „Schach" klingt. 
Wie sonderbar doch diese Stimme klingt? 
Robespierre heftet seine feuersprühenden Au¬ 
gen auf sein Gegenüber. Wieder begegnen sich 
der beiden Blicke; einer erschrickt vor dem an¬ 
dern und keiner kann des andern Blick ertragen. 
Doch warum? Weshalb? 
Robespierre tut einen Zug, schon hat auch 
der Gegner seine Königin gerückt und zwar — 
zum letztenmal. Aus aller Munde schallts 
„Gewonnen" und Robespierre ist — unter¬ 
legen. 
„Vortrefflich, gut gespielt." spricht dieser, 
ein wenig verlegen, „wir spielen noch einmal. 
Nicht wahr?" 
Der Gegner nickt zustimmend mit dem 
Haupt. 
„Doch um welchen Preis geht dieses neue 
Spiel?" fragt Robespierre, indem er seine 
Stirn in düstere Falten legt. 
Der junge Mann erzittert am ganzen 
Leibe, selbst die Lippen beben, doch nur einen 
kurzen Augenblick. Man merkt's ihm an, wie 
er gewaltsam um Fassung ringt und wie sei 
Wille die Erregung niederkämpft. Fest richt, 
er sein Auge aus den Gegner, und fchleude, 
ihm fast leidenschaftlich ins Gesicht: „Es hl 
ein Menschenleben gelten!" 
Die Umstehenden erschaudern. Auch % 
bespierre kann sich eines gewissen Gefühl 
nicht erwehren, nicht ob des Preises, beit 
was zählt bei ihm ein Menschenleben, doch« 
des kühnen Mutes seines jungen Gegners, h, 
höchstens neunzehn Jahre zählen mag. 
„Hier meine Hand, es gilt ein Mensch« 
leben," ruft der Tyrann und das Spiel begim 
von vorne. Beide Spieler sitzen gedankenschm 
über den Figuren: mit atemloser Spannut 
verfolgen die umstehenden Zuschauer jede 
Griff und mancher stille Glückwunsch mag b> 
Läufe und Züge des Jünglings begleiten. Ä 
tönt aus Robespierres Mund ein laut« 
„Schach": Schrecken fährt in alle, der juitz 
Spieler scheint verloren — es steht geführt,! 
um seinen Preis; da ein Zug — dann noch ei 
Zug, dem Robespierre vorzubeugen übersot 
und dann ein letzter und der Tyrann isi z» 
zweitenmale „Matt". 
Gellend fährt das Schachbrett auf be 
Boden, daß die dünne Wandung desselk 
krachend springt, des Besiegten Augen sprühe 
Zorn, die Lippen stoßen einen unverständlich 
Fluch aus und knirschen dann ein halberstickt, 
„Nun". 
Er wirft sich wütend in den Lehnstuhl $ 
rück. die Augen auf die Ornamente der Saok 
decke gerichtet. Da fühlt er seine Knie m 
klammert, er neigt das Haupt und sieht i 
seinen Füßen den Jüngling, dessen trän« 
feuchtes Auge flehend bittet und desien blas! 
Lippen die Worte beben: „Gnade, Herrsch« 
für den jungen Grafen Luigi G . . .. b, 
morgen früh auf dem Schaffot verbluten soll 
Es galt ein Menschenleben. O, laßt es dich 
sein!" Mit zitternder Hand reicht er dem AI 
mächtigen ein Begnadigungsgesuch, das er « 
seiner Tasche gezogen hat, empor. 
Robespierre wird blaß und nimmt bi 
Gesuch aus der Hand des Flehenden; indes!« 
schüttelt er mehrmals fest sein Haupt, was » 
ein „Nein" auf die gestellte Bitte bedeut« 
kann. Und doch. was kann ihm G. denn M 
den, und hat er nicht vor diesen vielen Bürg« 
hier sein Wort verpfändet? Er gibt dem Will 
einen Wink, der ihm bedeutet, Tinte und Fe» 
herbeizubringen. Mit Freude sehen die Umso 
henden, wie Robespierre seinen Namen um 
das Schriftstück setzt. Der junge Mann k« 
noch immer da. Wie atmet er erleichtert « 
als er die Begnadigung empfängt, und » 
Allgewaltige zu ihm spricht: Hier mein M
	        
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