Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

„Zum Wohl, meine Herren!" Aber grad. 
als sie die Gläser gefüllt hatte, da passierte 
etwas Anerhörtes: der mit den Schmissen 
fasste sie blitzschnell um die Taille und gab ihr 
einen Kuß 
„Aber," stammelte die Stina entrüstet und 
riß sich los, „aber —" 
Jetzt legte sich auch der Monokelbewehrte, 
der anscheinend sprachlos vor Staunen dem 
Vorgang zugesehen, ins Mittel und fuhr seinen 
Nachbar sehr unsanft an: 
„Aber mein Lieber, was soll denn das 
heißen?" 
Diese Matzregelung, von einem geradezu 
vernichtenden Blicke begleitet, übte auf den 
Verwegenen eine seltsame Wirkung aus, und 
ganz verwirrt stammelte er seine Entschuldi¬ 
gung : 
„Verzeihung — königliche Hoheit — Ver¬ 
zeihung —" 
Ein paar Sekunden stand Stina offenen 
Mundes starr und wortlos da, wie weiland 
Lots eheliches Weib. Dann kreischte sie laut 
auf: „Jesses!" Und raffte sich zusammen 
und floh nach draußen. 
„Vadder, Vadder!" 
Der steuerte eben in Hemdärmeln über 
den Hof und schleppte außer seinem ansehn¬ 
lichen Bäuchlein zwei Eimer, um die Gäule 
zu tränken. 
„Vadder, Vadder!" 
Was denn los sei, frug Jodokus Schmitz 
ziemlich gelassen, als seine Tochter atemlos 
bei ihm angekommen war. 
Ein Fürst, ein leibhaftiger Prinz sätze 
drinnen in der Wirtsstube, .berichtete Stina 
mit abgerissenen, stammelnden Worten und 
gab, so gut es ging, das eben passierte Aben¬ 
teuer zum besten. 
„Dumme Gans!" hauchte der dicke Jo¬ 
dokus seine Tochter an und lachte höhnisch 
auf. Ein Fürst! • Wie sollte der sich nach 
Hintermeilingen verlaufen?" 
„Warum denn. nicht? Kein anderer 
könnte das sein, als der Prinz Theodor, der 
jetzt drunten in der Stadt die Aniversität be¬ 
suche. Neulich noch sei der mit seiner ganzen 
Verbindung auf einem Ausflug in Zitzen, 
Vrenk und Lützingen gewesen und wenn er sich 
in diese Nester verlaufen habe, so könne es 
ihm doch nicht zu wenig fein, auch in Hinter¬ 
meilingen einzukehren. 
Gerade der letzte Hinweis hatte Beweis¬ 
kraft. Jodokus Schmitz stellte natürlich die 
Eimer nieder und verschränkte kleinlaut die 
dicken Arme, wobei er bei sich konstatieren 
mutzte, datz sein Herz ein schnelleres Tempo 
anzuschlagen begann. 
Aber dann fing er wieder hu zweifeln 
an. Man könne nicht wissen, meinte er. ob 
es sich mit der Anrede „Königliche Hoheit" 
nicht nur um einen Scherz handle. 
Dem sei abzuhelfen, wandte die Stina 
ein. Die „schöne Jule" könne das leicht fest¬ 
stellen. Die sei bis vor kurzem ja Kindermäd¬ 
chen in der Universitätsstadt gewesen und re¬ 
nommiere ja stets damit, datz sie den Prinzen 
Theodor weiß Gott wie oft von Angesicht 
zu Angesicht gesehen habe. 
Dagegen sei nichts einzuwenden, meinte 
nun auch Jodokus Schmitz, und wenn die 
Juls in dem Herrn da drinnen den Prinzen 
wiedererkenne, so könne es wohl kaum ein an- 
andcrer sein. — Wie vorauszusehen war, dau¬ 
erte es eine Weile, bis die schöne Jule er¬ 
schien. Denn wie keine andere Jungfrau in 
Hintermeilingen hielt sie auf ihr Aeutzeres 
außerordentlich viel, und um keinen Preis 
war sie dazu zu bewegen, so wie sie war der 
Stina den erbetenen Freundschaftsdienst zu 
leisten. And so verging eine gute halbe Stun¬ 
de, bis sie sich in ihren großstädtischen Sonn¬ 
tagsstaat geworfen hatte, mit dem sie, beson¬ 
ders durch die gelben Stiefelchen, die aus¬ 
geschnittene Seidenbluse und die gebrannten 
Locken — seit ihrer Rückkehr aus der Stadt 
allen Gutgesinnten des heimatlichen Dorfes 
zum Aergernis geworden war. 
Inzwischen wandelte Jodokus Schmitz, 
nachdem er sich allsogleich unter vieler Mühe 
den schwarzen Feiertagsrock gezwängt hatte, 
wie ein unruhiger Geist durchs Haus. Tau- 
sendwetter, man hatte doch zwei Feldzüge 
mitgemacht und selbst bei Spichern nicht ge¬ 
zittert, und nun kriegte man Herzklopfen vor 
diesem jungen Herrn! Und gerade da er im 
besten Zuge war, sich ob seiner mangelnden 
Courage einen rechten Jammerlappen zu schimp¬ 
fen, öffnete sich zum Ueberfluh noch die Türe. 
hinter der die Gefürchteten saßen, und „Wirt¬ 
schaft, Wirtschaft", rief jemand- 
Und von der Stina war immer noch 
nichts zu sehen. 
Na, dann Kopf hoch und herein in die 
Bude! Aufgefressen würde man ja nicht, und 
die Herren würdens schließlich nicht mal so 
genau nehmen, wenn man sich etwas unge¬ 
schickt anstellte. 
Und so war es auch. Die Herren nahmen 
die Referenz, die ihnen Jodokus Schmitz mit 
sechs tiefen und etwas linkischen Bücklingen 
beim Eintreten zollte, mit einem leutselig 
wohlwollenden Lächeln entgegen und schoben 
ihm die leere Flasche hin. 
„Roch eine, bitte!"
	        
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