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bern jenem, der vor sechs Tagen die Depe¬
sche, dein Todesurteil, raubte- Du hast
doch davon gehört?"
„Ja, mein Freund schrieb cs mir: doch
wieso verdank' ich dem mein Leben?"
„Weil ich erst vor zwei Tagen von einer
Neise in die Residenz zurückgekommen bin,
also an dem Tag. da dein Haupt gefal¬
len wäre, wenn die Depesche ihr Ziel er¬
reicht hätte."
„O guter Engel," ruft tief aufatmend
der Begnadigte aus, „daß ich dich kennen
würde! Wie wollt' ich es dir lohnen!"
Bei den letzten Worten tritt der Kerker¬
meister ein und verkündet Sir Cochrane seine
sofortige Entlassung aus dem Gefängnis.
Man bringt ihm seine Kleider und eine halbe
Stunde später ist die Zelle leer.
Die hellen Sterngebilde stehen am hohen
Himmel und funkeln, als stritten sie uni ihren
lichten Glanz miteinander um den Vorrang.
Gräfin Cochrane liegt regungslos auf
ihrem Lager. An demselben sitzt Sir Co-
chrane, ihr befreiter Gatte, und an seiner Seite
sein Vater. Beider Augen ruhten teilnahms¬
voll auf der Kranken, die jetzt im Fieber¬
traume ihre Hände auszustrecken beginnt und
in die Schmerzenstlage nusbricht: „Meine Gri-
zel, mein liebes Kind! Verlaß mich nicht!
Dein Plan wird nicht gelingen."
Wieder ist sie still und liegt wie eine
Leiche vor ihnen.
„Was sprach sie da von einem Plan?"
unterbricht der alte Graf das Schweigen.
Wehmutsvoll schüttelte der Sohn das
Haupt und drückt es auf die Kissen des
Bettes nieder: denn er vermag nicht mehr
länger den Tränenstronr zurückzuhalten.
Eben hat ein Diener im Gemache die
schweren.Samtvorhänge an den Fenstern vor¬
gezogen und statt dem großen Licht ein klei¬
nes Lämpchen angezündet, das seinen roten
Schein durch das Zimmer wirft, als ein
zweiter Diener einen Fremden meldet, der
Sir John Cochrane ganz Wichtiges zn mel¬
den habe.
Dieser hat sein Haupt aus den Kis¬
sen erhoben und gibt ein Zeichen, ihn vor¬
zulassen. Nach einigen Minuten tritt der
Fremde ein. Ehrfurchtsvoll legt er die Hand
an den großen Hut, den er aber, statt ihn
abzunehmen, nur noch tiefer ins Gesicht zieht,
greift in das braune Wams, das seinen
schlanken Körper deckt, und übergibt mit einer
Verbeugung, doch ohne auch nur einen Gruß
zu sprechen, dem jungen Grafen einen Brief.
Schnell ist er geöffnet, da entfällt demsel¬
ben ein Schreiben. Der alte Graf, der «,
den John steht, bückt sich nieder, hebt c*
auf und liest mit gedämpfter Stimme: „Dch
Todesurteil, liebster Vater ! Von Dein«
Erizel." Zitternd erbricht der junge Ech
das Schreiben, das seine Rechte hält, M
seine Augen überfliegen sein eigenes Tod«-
urteil mit des Königs Namen unterzeichnt
Vater und Sohn starrten auf die — ge-
raubte Depesche, während des Fremden Blickt
fast schmerzlich auf der Kranken auf dem La¬
ger ruhen.
„Fremdling," spricht John mit unsichere!
Stimme, „hast du das Urteil dem König«-
boten abgenommen?"
Zustimmend nickt dieser niit dem HauD
und senkt cs dann noch tiefer.
„Sag'," fährt hastig und erregt Cochram
fort, „sag', kennst Du meine liebe Tochich
Grizel? Bist du von ihr gesandt? L,
sag' mir! Weißt dn vielleicht, wo sie z«i
Stunde weilt?"
„Hier ist sie, lieber Vater, lieber Gro߬
papa! Hier ist eure Erizel," ruft jetzt kill
voll freudiger Erregung der Fremde, reiif]
seinen Hut vom Haupt und Grizel« dmÄ
Flechten fließen in voller Schönheit auf bis
Schultern nieder.
„Kind." kommt es entzückt aus des
ters Mund, und er preßt Grizel innig an
seine Brust.
Doch kaum hat die glockenhelle Stzim^
der guten, heldenhaften Tochter das Echo im
großen Saals wachgerufen, kaum hat sie bes
Paters Hals umschlungen, da schlägt p!ö!j<
lich auf dem Krankenbett die Mutter ihn
Augen auf und richtet sich mit dem Rufi
„Grizel, bist du endlich da, ich horte deiß
Stimme," in die Höhe.
Grizel reißt sich aus den Armen dK
Vaters los und ruht im nächsten AugenK
am Mutterherzen.
„Hier bin ich, Mutter! Doch nicht
allein. Hier hast du auch den lieben
tsr wieder frei von Tod und Strafe
auch Großpapa will dich begrüßen und dd
zum heutigen Tag gratulieren. Ja, f«i|
dich, Mutter, denn mein Plan, dein du du¬
nen Segen gabst, ist Gott sei Dank geglückt
Stille herrscht im ganzen Saal. VM
Kind und Großpapa liegen, den Blick in
tränenfeuchte Mutterauge gerichtet, vor, d:>
Krankenlager auf ihren Knien und auf ihre
Antlitze widerspiegelte sich des Herzens w'
große Freude ob der Heldentat, die ein MJ
für seine Eltern mit kühnem Mut voll¬
brachte. —