Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

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ick> nur immer weiter gehen und sagen, ich 
bin die Mutter von FLrkas Ianos und daß 
ich muh zu meinem Sohn!" stammelte die 
Alte aufgeregt. 
„Ist Euer Sohn denn Soldat?" 
„Freilich, bitt' schön, halten zu Gna¬ 
den! Drei Monat ist er weg, mein Ianos, 
mein Einziger, und heut' ist doch Weihnacht, 
da muh ich doch bringen meinem Einzigen 
bissel was, daß er sieht, sein Mutterl ver¬ 
gißt ihn nicht!" 
„Liebe, gute Frau, wie stellt Ihr Euch 
das vor? Im Krieg gibt es keinen Weih¬ 
nachtsabend — wir haben anderes zu tun! 
Bei welchem Regiment steht denn Euer 
Sohn?" 
„Bitt' schön — — Regiment weih ich 
nicht!" 
„Ja, wie wollt Ihr ihn denn dann 
suchen?" 
„Bitt' schön — steht er vor Stryj — 
hat er geschrieben — aber kann ich nicht 
lesen! Hat mir Herr Lehrer gesagt, das; er 
ist vor Stryj und hat was gesagt von sieben¬ 
undfünfzig. Und Stryj ist überm Berg drü¬ 
ben, hat gesagt her Herr Lehrer, geh ich 
Übern Berg zu meinem Sohn — ganz ein¬ 
fach !" 
Der Soldat lachte. Ein gutmütiges, 
mitleidiges Lachen. Die harmlose, welt¬ 
fremde Frau, die ihren Sohn suchen ging, 
um ihm seine Weihnachtsfreude zu bringen, 
wirkte in der harten Zeit voll Ernst und 
Grausamkeit doppelt rührend. Er erzählte 
seinem Kameraden die merkwürdige Sache. 
„Führ' doch die arme Alte in die Hütte, 
sie sollen ihr was zu essen geben, und viel¬ 
leicht wissen sie drin, wo die Siebenundfünf- 
ziger liegen? So ein armes Weib!" 
„Ra, kommt, Mutterl, vielleicht können 
wir Euch weiter helfen!" Damit wollte der 
andere Soldat den Korb aufnehmen, aber 
die Alte ergriff ihn schon: „Bitt' schön 
— trag ich selbst — ist für meinen Ia¬ 
nos!" sagte sie mit einem bittenden Lächeln, 
dann stapfte sie hinter ihrem Führer in die 
Wachtstube, wo der seltsame Gast mit gro¬ 
ßem Halloh empfangen wurde. 
Alle bemühten sich um die Frau, ge¬ 
packt von der Naivität dieser Mutter, der ihr 
ungewöhnliches Beginnen so ganz selbstver¬ 
ständlich erschien! In den Scharen der Sol¬ 
daten, die zum Schutze des bedrängten Va¬ 
terlandes hinauszogen, ist auch ihr Sohn. 
Sie weiß kaum, wo sie ihn suchen soll, aber 
ihre Sehnsucht treibt sie weiter, unbeküm¬ 
mert um Not und Gefahren. Der liebe Herr¬ 
gott wird ihr schon helfen — das ist ihr 
felsenfester Glaube. Und er hilft! 
„Die Siebenundfünfziger liegen tatsächlich 
in Stryj," sagte der Feldwebel. „Aber Mut¬ 
terl, da habt Ihr noch an die vier Stun¬ 
den zu laufen, wißt Ihr das?" wandte er 
sich an die alte Frau. 
„Halten zu Gnaden, das macht nichts, 
lauf ich schon zwei Tage, werd' ich auch 
aushalten die paar Stunden, wenn ich nur 
bin heut' abend bei meinem Sohn!" Die Alte 
nahm wieder den Korb auf. Erwärmt und 
gesättigt war sie jetzt wieder, dank der Güte 
der Soldaten, die ihr zum Abschiede noch 
Brot und Speck zusteckten und ihr den Weg 
weiter wiesen. Nur immer die Straße ab¬ 
wärts solle sie gehen; wenn sie erst dahin 
käme, wo die vielen Soldaten waren, dann 
sei sie am Ziel, dort sei auch ihr Sohn 
darunter. 
Und sie fragte sich durch die alte Frau, 
mit der zähen Energie. Zum Schlüsse frei¬ 
lich drohten ihr fast die Kräfte zu versagen, 
aber sie hatte Glück, denn sie traf eine Kom¬ 
pagnie Soldaten, die dem gleichen Ziele zu¬ 
strebten. Der Hauptmann, der die wegmüde 
Alte daherwanken sah, redete sie an und er¬ 
fuhr die seltsame Sache, die ihn tief rührte. 
Er befahl zweien seiner Leute, die Frau zu 
stützen, damit sie weiter konnte. Man mußte 
ihr doch helfen, damit sie ihren Ianos fand! 
Und zwei junge, frische Burschen der Kom¬ 
pagnie machten aus ihren Gewehren eine 
Art Tragbahre, auf dis sie die alte, müde 
Frau setzten, und sie so weiter trugen. Voll 
Güte und Zartheit waren sie 311 dieser Mut¬ 
ter des unbekannten Kameraden, die Stun¬ 
den und Stunden über das Gebirge wanderte, 
um ihrem Sohns seine Weihnachtsfreude zu 
bringen. Und neugierig waren sie, die Jun¬ 
gen! Wie die Kinder! Wollten zu gerne 
wissen, was sie denn ihrem Ianos in dem 
großen Korbe mitbrachte — sicher was Fei¬ 
nes zum essen. Wie traurig und beküm¬ 
mert nun das Gesicht der Alten wurde! 
Nichts hatte sie mehr, seit ihr Einziger nicht 
mehr für sie arbeiten könnte. Im Ar- 
menhause lebte sie, weil die russischen Teu¬ 
fel ihr Häuschen eingeäschert hatten. Nichts 
war ihr geblieben! Aber —- — darum sollte 
der Ianos doch feine Weihnachtsfreude ha¬ 
ben! In dem Korbe sei ein ganz kleiner- 
Tannenbaum, vom Wald dabei — und noch? 
etwas! Aber das durfte nur der Ianos. 
wissen, sonst keiner! So ließen sie der Al¬ 
ten ihr Geheimnis; als sie in das Haupt- 
lager kamen, kundschafteten sie den Ianos-
	        
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