Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

dem Ofen noch ein Äaufen angekohlter Telegrammstreifen entdeckt, unter denen ausgerechnet die Meldung 
der französischen 4. Armee an das französische Hauptquartier unverbrannt zutage kam, worin es hieß: 
„Der Koffer (les archives) des Kapitäns R... mit seinen geheimen Dienstvorschriften ist verlorenge- 
gangen!" Eine Bestätigung, daß uns das Richtige in die Kände gefallen war. Sollten diese Zeilen 
dem Kapitän R..., falls er noch lebt, vor Augen kommen, so weiß er wenigstens jetzt, wo sein ver¬ 
gessener Koffer mit Inhalt geblieben ist. 
Telegrammstreifen 
Die Trümmer der belgischen Armee hatten sich nach dem Fall von Antwerpen im Oktober 1914 hinter 
das Überschwemmungsgebiet der Mer gerettet. Jede Möglichkeit eines Einblicks in die Verhältnisse der 
belgischen Kampfkräfte war zunächst ausgeschaltet. Auch Fliegererkundungen waren nur von bedingtem 
Wert, da man wohl Ortschaften hinter der Wer als belegt, nicht aber die Stärke und Truppenzugehörigkeit 
der Belegung erkennen konnte. 
Das preußische III. Reserve-Korps war bis zur flandrischen Nordseeküste vorgestoßen und gegen die 
Mer eingeschwenkt. Der Nachrichtenoffizier des Armee-Oberkommandos begleitete es auf Befehl der 
Obersten Äeeresleitung. Nachdem er als Dolmetscher in Brügge die Äbergabeverhandlungen mit ge- 
leitet hatte, eilte er im Kraftwagen am nächsten Tage mit den Vortruppen des III. Reserve-Korps nach 
Middelkerke vor, wo, wie ihm aus Friedenszeiten bekannt, das große Telegraphen-Älberseekabel endigte. AbHör-- 
versuche ergaben, daß es nicht mehr in Benutzung war. Seine Endstelle in Middelkerke wurde daher zunächst 
unbrauchbar gemacht, um jedem für uns schädlichen Gebrauch vorzubeugen. — Dann ging's an die Durch- 
suchung der Posträume. Anmengen liegengebliebener Briespost und beschriebener Telegrammrollen wurden 
zusammengebracht. Die Briefpost hatte zunächst weniger Wert, wohl aber erwiesen sich die Telegramme 
als äußerst wichtig. Ein Teil von ihnen war in Morseschrift, daher nur vom Fachmann lesbar. Sie wurde« 
zunächst ausgesondert. Der Rest war in Äughes-Schrift (Druckschrift) in französischer, flämischer und 
teils auch englischer Sprache; er füllte zwei große Waschkörbe bis zum Rande. Eine genaue Durchsicht 
bedeutete zwar eine Riesenarbeit, die aber umgehend bewältigt werden mußte, wollte man die zu erwartenden 
Nachrichten nicht veralten lassen. Sie stellte aber auch rein technisch eine schwere Aufgabe dar, da jede 
Telegrammrolle aufgewickelt und der Natur der Sache nach von rückwärts her gelesen werden mußte. 
Zunächst wurden der Sprache nach die einzelnen Rollen sortiert; jede wichtige Nachricht einzeln heraus- 
geschnitten, auf besondere Bogen geklebt und dann alles nach Truppenteilen und zeitlich zusammengestellt. 
— Eineinhalb Tage nahm die Durcharbeitung in Anspruch, von kurzem Schlaf nur unterbrochen, bzw. in 
„Schichten" erledigt. 
Diese Mühe fand eine glänzende Belohnung: die belgischen Divisionen in örtlich genau abgegrenzten 
Abschnitten, mit ihren augenblicklichen Kampfstärken und Führern, Sitz der Befehlsstellen bis zu den letzten 
Etappenorten, alles ließ sich herausfinden. Das gewonnene Bild über die belgische Armee war voll- 
ständig. — 
Die Stärken der einzelnen belgischen Truppenteile waren außerordentlich schwach geworden, ihr Kamps- 
wert war auf das geringste herabgesunken. Die für den Deutschen unübersch reitbar gewordene Mer schützte 
sie allerdings vor völliger Vernichtung durch eine — leider nun nicht mögliche — weitere deutsche Ver¬ 
folgung. Die Zeit des Geborgenseins hinter diesem Naturhindernis mußte daher zu schneller Auffüllung 
der Truppenstärken ausgenutzt werden. Dazu entschloß sich die belgische Heeresleitung, alle in Belgien zurück- 
gebliebenen Kriegsdienstfähigen über Kolland nachzuziehen. Die Äöhe dieses Ersatzes war nicht zu berech¬ 
nen, da die belgischen Städte und Dörfer bei Beginn des Krieges schon eine größere Abwanderung durch 
Flüchtende erfahren hatten. Ein glücklicher Zufall wieder arbeitete dem Nachrichtenoffizier des in Flandern 
liegenden Armee-Oberkommandos in die Äand und gab ihm die Möglichkeit, auch das Rätsel der belgi- 
schen Rekrutierung zu lösen. 
Im Frühjahr 1915 wurden an der holländischen Grenze durch die Geheime Feldpolizei, die in 
der Spionageabwehr mit dem Nachrichtenoffizier gemeinsam arbeitete, mehrere große Postsäcke beschlag¬
	        
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