Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

„Gehöre ich jetzt als Kommandeur selbst ins Flugzeug oder nicht?" entließ ich das Geschwader zur Ver- 
sammlung über Ostende in 1800 Meter Äöhe. Dort wird gekreist und zur bestimmten Sekunde die Linie 
Leuchtturm—Kirchturm überflogen. Etwa drei Kilometer in See hinaus geht der Flug westwärts in die 
Nähe von Dünkirchen. In etwa 2000 Meter Köhe erscheinen drei Farman- und drei Bristol-Flugzeuge 
mit Motoren, deren Pferdestärken um 50 bis 60 PS den unsrigen überlegen sind. Auf nächste Entfernungen 
beginnt ein Kerumschießen uud Evolutionieren, in dessen Verlauf jedoch alle Spreng- und Brandgeschosse 
richtig über dem Käsen, Arsenal und der Stadt abgeliefert werden. Zwei feindliche Flugzeuge landen, ob 
gezwungen oder nicht, kann man nicht erkennen. 
Nach Rückkehr unseres Geschwaders fehlt das Flugzeug von Leutnant Kug-Oberleutnant Brehmer. 
Kühler und Motor scheint ihnen durchschossen worden zu sein. Zeitungsnachrichten besagen, sie seien bei 
Bray—Dunes in Gefangenschaft geraten. Den Verlust unserer braven Offiziere haben wir am 28./29. 
gerächt. Ich habe das Gefühl, daß das Wort „vermißt" bei Fliegeroffizieren in der Verlustliste für die 
Angehörigen leichter zu tragen ist, als wenn es andere Waffen betrifft. Es entbehrt jeder Bitterkeit. 
27. Januar 1915. Die Suppe zu einem vielversprechenden Kaisergeburtstagsessen ist aufgetragen. 
Da bricht der Mond durch die Wolken. Aufstehen, Alarm, ich starte mit Hauptmann Äempel als erster. 
Zuuächst Richtung Ostende. Äber der Nordsee wird das Wetter dick. Bei Middelkerke waren wir total 
in der Waschküche, wir mußten kehrtmachen und landeten nach 25 Minuten wieder im Äasen. Vier weitere 
Maschinen hatten das gleiche Schicksal, der weitere Start wurde abgebrochen. Ein Flugzeug (Leutnant 
Prestien-Grav enstein) hatte den unbeschreiblichen Dusel, später wieder sichtiges Wetter zu treffen und 10 
Bomben über Dünkirchen loszuwerden. 
28. Januar 1915. Als der Mond ausging, standen 14 Flugzeuge mit 123 Bomben startbereit. Leichte 
Bewölkung, schneidender böiger Ostwind. Ich setzte mich zu Äempel in einen Aviatik-Doppeldecker mit 
zwei 10-Kilogramm-Spreng-, fünf 5-Kilogramm-Spreng- und drei 5-Kilogramm-Brandgeschossen, zwei 
elektrischen Taschenlampen und einem Gewehr — eine Sardine mag sich in vollgepackter Büchse gegenüber 
meinein Zustand als Einsiedlerin fühlen. In Ostende leuchtete nach oben das für uns bestimmte Blinkfeuer, 
das Thermometer zeigte Minus 25 Grad Celsius. Ostlich Nieuport tobte unten ein erbitterter Kampf der 
beiderseitigen Artillerie und Infanterie. Die Ansrigen nahmen einen Schützengraben wieder in Besitz, der 
die Nacht vorher verlorengegangen war. Nachtkämpfe von oben zu beobachten ist ein eigentümliches 
Gefühl, besonders wenn der Sitz dieser ambulanten Fremdenloge aus einem Faß mit 200 Liter Benzin 
besteht, vor sich den rotglühenden Auspuff des Motors, aus dem Schoß 60 Kilogramm Sprengladung. 
Mit einem Sternsignal gab ich der eigenen Artillerie das Zeichen: „Gute Leute, bitte nicht schießen!" 
Ein feindlicher Scheinwerfer nahm das übel und fing an mit seinem langen weißen Gespensterarm nach uns 
hinaufzulangen. Diesem Beispiel folgte bald die ganze Küste bis Dünkirchen. Sehr bald wachten auch die 
feindlichen Ballon-Abwehrgeschütze auf, wir hatten Sprengpunkte um uns, daß ich bei ihrem Schein Ziffer¬ 
blatt und Barometer und Tourenzähler lesen konnte. „Ich glaube, der Motor klopft!" schrieb ich meinem 
Führer auf einen Zettel. Er setzte zu einem Stück Gleitflug an und rief mir zu: „Nein! Es war Gott sei Dank 
nur eine Granate!" Im Brüllen des Propellers hörte sich das jedesmal an, wie wenn ein Gorilla eine 
Kokusnuß knackt. 
Dünkirchen war in allen Straßen festlich erleuchtet. Ein schöneres Ziel kann man sich nicht denken; 
ebensowenig ein schöneres Bild: die im Vollmondschein brandende Nordsee, die Scheinwerferkegel, unsere 
explodierenden Bomben, das alles vermischte sich zu eiuer „Zauberflöten"-Dekoration. 
Wir wanderten durch Feuersgluten, 
Bestanden mutig die Gefahr; 
Äerr Gott, sei Schutz in Wassersfluten, 
So wie Er es im Feuer war. 
Wie ich den letzten Eisenklumpen hinunterrauschen lasse, glitschen mir meine Pelzhandschuhe unter den 
Benzintank. Es blieb mir nichts übrig, als abwechselnd Sandflächen und --rücken am Motor rösten und 
auf der anderen Seite im eisigen Wind frieren zu lassen. Dann ging es heimwärts in 1 Stunde 25 Minuten. 
Die Bewölkung unter uns hatte zugenommen, homöopathisch durch Schrapnells verursacht, meteoro¬ 
logisch durch cumuli. Schließlich sah man von der Erde nichts mehr, Gott sei Dank ließ das Ostender Feuer
	        
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