Volltext: Kämpfer an vergessenen Fronten

Als wir am Morgen bei Kellwerden auftauchten, war es gänzlich ausgeschlossen, das Turmluk zu 
öffnen. Das Meer war in schäumende Raserei verfallen. Haushohe Wafferberge rollten heran, opalgrün 
gefärbt, mit langen, weißen Gischtstreifen überzogen und mit einer sprühenden Krone von brandendem, 
weißem Schaum gekrönt. Jeder der tosenden, brausenden Berge stürzte sich auf uns und begrub uns mit 
donnerndem Gebrüll unter sich, die Decks und selbst den hohen Turm meterhoch überspülend. Jeder von 
uns, der das Luk geöffnet und sich aus den Turm gewagt hätte, wäre beim nächsten Ansturm der wilden 
See rettungslos mitgerissen worden und ertrunken. 
Ich stand am Sehrohr und beobachtete von dort das Toben der Elemente. Mir war, als seien wir 
in einem Gebirge, so hoch und gewaltig erschienen die Wasserwände, die unser Boot erklettern mußte, so 
tief und steil die Schluchten, in die es mit hartem Fall kopfüber hinabstürzte. An einen Ausblick in die 
Ferne war nicht zu denken. Immer nur sah ich von einem Höhenrücken bis zum nächsten, höher erscheinenden, 
und was dann kam, verschwand in dem Wasserdampf, der die Luft erfüllte, hinter den Schaumfetzen, die 
der Sturm losriß und mit sich trug, und in dem dunklen Grau der Wolken, die drohend und heulend übers 
Wasser fegten. Wolkenbruchartige 
Regenschauer prasselten nieder und 
verdunkelten den Äimmel zu halber 
Nacht. Es war schwer, zu glau¬ 
ben, daß an diesem schmutzigen, 
finsteren Äimmel irgendwo die 
Sonne strahlen mußte. Eher konnte 
ich mir vorstellen, daß sie die Zeit 
verschlafen habe, und daß der 
Äimmel wütend nach ihr schrie. 
Das Boot arbeitete maßlos 
schwer und hart in dem Sturm. 
Die ganzen Verbände krachten und 
zitterten, wenn es vom hohen Turm 
einer See sausend herab in die Tiefe 
fuhr und mit donnerndem Anprall 
den Bug tief im Wellental begrub. 
And unter den ewigen Stößen und 2n Brand geschossener Dampfer 
Püffen litten wir selbst ungemein. 
Immerfort mußten wir uns festhalten, irgendeinen öligen Gegenstand umschlingen, nur um nicht umzufallen, 
überall stieß und quetschte man sich, hatte nirgends Rast und Ruh, weil kein Stuhl, kein Gegenstand stehen- 
blieb, wenn er nicht niet-- und nagelfest war. Wir wurden allmählich ganz müde und schlapp durch die 
andauernde körperliche Bewegung, in der das Rollen des Boots uns hielt, durch die feuchte, dunstige 
Luft, die in alle Ritzen drang und alle Schränke aufquellen ließ, und durch den Mangel an Schlaf und 
Appetit, der eine Folge von allem war. 
Drei Tage und drei Nächte hielt der Sturm mit unverminderter Stärke an. Dann wurde der Kimmel 
Heller, die Gewalt des Windes ließ nach, und die tobende See begann, sich langsam zu beruhigen. Am 
Mittag des dritten Tages brach zum ersten Male die Sonne durch das Gewölk. Wir hatten kurz vorher 
das Turmluk zu öffnen gewagt und begrüßten den ersten Strahl, obwohl wir den Genuß seines Anblicks 
mit einem kalten Wasserbad bezahlen mußten. 
Aufzeichnung des Kapitänleutnants Iürst, Kommandanten von „17 43", über eine Fahrt ins 
Nördliche Eismeer im Oktober 1916 8). 
Seit einer Stunde fällt das Barometer. In heftigen Stößen jagt eisiger Nordwind heran. Spritzer 
nach Spritzer zischt über Deck, immer gröber wird die See. Längst ist alles dicht gemacht. In langen 
Zügen wälzt sich die See heran und läßt „II 43" überholen. Die Schlingerbewegungen sind so stark, daß 
der Aufenthalt auf dem Turm immer ungemütlicher wird. Eine schwere See nach der anderen leckt über 
die Leute oben hinweg, nicht ein Faden ist mehr trocken. Ein wuchtiger Anprall nach dem anderen ergießt
	        
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