Volltext: Entwicklung des Bolschewismus

Zur Entwicklung des Bolschewismus 
Von Alexander Elfenbein in München 
Zu den folgenschwersten Umwälzungen der Kriegs- und Nachkriegszeit gehört die 
Verschiebung in den internationalen Absatzmärkten. Deutschland hat darunter 
besonders zu leiden, weil die rein wirtschaftlichen Veränderungen durch politische 
Sperrmaßnahmen noch verschärft worden sind. Die neue wirtschaftliche Lage ist 
dadurch gekennzeichnet, daß wir zwar mehr arbeiten müssen als früher, daß aber 
die Erzeugnisse unserer Arbeit nur noch auf einem bedeutend verkleinerten Markt, 
und auch dort nur mit Schwierigkeiten, Aufnahme finden. Hervorgerufen ist diese Lage 
in der Hauptsache dadurch, daß eine Reihe überseeischer Länder, vor allem die Vereinig¬ 
ten Staaten von Amerika, dann aber auch europäische Länder in den Kriegsjahren 
eigene Industrien ins Leben gerufen hatten, die unter dem Schutz einer protektio¬ 
nistischen Politik die früher von uns bezogenen Waren selbst herstellten. 
Diese Tatsache, neben der allerdings noch andere Faktoren mitwirken, bildet den 
Ausgangspunkt der deutschen Wirtschaftskrise. Sie ist von unseren Industriellen 
längst erkannt, und alle Maßnahmen, die wir unter der Gesamtbezeichnung ,,Ratio¬ 
nalisierung“ zusammenfassen, sind nur der Versuch, unsere Ausfuhr aus dem erdrük- 
kenden Ring wirtschaftlicher und politischer Sperrmaßnahmen herauszureißen. 
Zur Erreichung dieses Zieles hat unsere Industrie eine Umstellung größten Stiles 
vorgenommen, die noch bei weitem nicht beendet ist, und die darauf hinausläuft, 
durch Verbilligung der Produktion die fremden Märkte wiederzugewinnen und neue 
zu erschließen. Es ist eine Art wirtschaftlicher Unterseebootskrieg, den wir führen 
müssen, um unter den Zollschranken und anderen Einfuhrerschwerungen hindurch 
in das feindliche Wirtschaftsgebiet vorzudringen. Daß dabei eine wirksamere Han¬ 
delspolitik, als wir sie bisher verzeichnen, mithelfen muß, sei nur nebenher bemerkt. 
Aber außer den Maßnahmen auf technischem und wirtschaftspolitischem Gebiet 
kommt noch ein Faktor in Betracht, der nicht aufmerksam genug im Auge behalten 
zu werden verdient. Wir stehen in unseren natürlichen und geschichtlichen Absatz¬ 
gebieten nicht nur neuen Industrien, sondern auch neuen Menschen und Ideen gegen¬ 
über. In großen Teilen der Welt, die früher ein wirtschaftliches, politisches und 
kulturelles Abhängigkeitsverhältnis von Europa als gegebene Tatsache ansahen, kön¬ 
nen wir eine immer wachsende Abwehrstellung gegen europäische Einflüsse und euro¬ 
päisches Übergewicht wahrnehmen. „Asien den Asiaten" lautet eines jener Schlag¬ 
worte, die uns das Erwachen von Völkern ankündigen, die bisher westeuropäischem 
Einflüsse unterstanden, sich heute aber zu einer Front gegen Westeuropa zusammen¬ 
zuschließen versuchen. Zahlreich und verschieden sind die Unterabteilungen, in der 
diese Abwehr gegen Europa auftritt. In Indien sehen wir die Bestrebungen nach grö¬ 
ßerer politischer Selbständigkeit Hand in Hand gehen mit einer zielbewußten 
Industrialisierung dieses ursprünglich agrarisch eingestellten Landes. In China ist 
der Ausgang des erbitterten Kampfes der militärischen Führer untereinander noch 
nicht zu übersehen. Aber deutlich hebt sich auf dem Hintergrund des Bürgerkrieges 
der Wille zur Abschüttelung des europäischen Einflusses und zur Erlangung wirt¬ 
schaftlicher und finanzieller Unabhängigkeit ab (Zollautonomie). Auch in Zentral¬ 
asien können wir nationale Selbständigkeitsbestrebungen wahrnehmen, wenn auch 
in viel schwächerer Ausstrahlung. So in Afghanistan, wo nach Berichten von Reisen¬ 
den und Forschern die ersten Anzeichen eines erwachenden Volksbewußtseins in der 
Abwehr englischer und russischer Einflüsse sich bemerkbar machen. Ist es auch ver¬ 
früht, heute schon von einer panasiatischen Interessengemeinschaft zu reden, so 
dürfen doch auch die dahin führenden ersten Schritte nicht unterschätzt werden, 
zumal auch in Afrika gleichartige Bewegungen hervortreten. Der Rifkampf zeigt uns die 
Kraft dieser antieuropäischen Front auch gegen Militärstaaten wie Frankreich 
Entwicklung des Bolschewismus (Südd. Monatshefte, 23. Jahrg., Heft 10) 16
	        
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