Volltext: Entwicklung des Bolschewismus

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Entwicklung des Bolschewismus 
betriebe auch wieder kaufmännisches Denken hineinzubringen, ist gleichfalls eine 
Aufgabe, für die der Bolschewismus gegenwärtig Mühe aufwendet. 
Die Unrentabilität der russischen Wirtschaft rührt zum Teil auch daher, daß vielte 
Mittel und viel Energie zu ihrem propagandistischen Aufputz verschwendet wer¬ 
den: es ist z. B. nicht einzusehen, warum jedes kleine russische Nest amerikanische 
Feuerlöschzüge haben soll, wenn es den Fabriken noch am notwendigsten Installa¬ 
tionsmaterial fehlt. Bürgerliche Gehirne werden auch kaum begreifen, warum man 
in Moskau mit ungeheuren Kosten eine riesige Automobilfabrik baut, in der alles, 
vom Roherz aus, hergestellt wird, während die Erzlager und die Kohle im Donbassin, 
1500 km von Moskau entfernt, liegen, und das Rohmaterial auf der Achse herange¬ 
bracht werden muß. Die Hauptsache ist eben auch hier, daß die Fabrik großartig 
aussieht und für Ausländer bequem zu besichtigen ist. 
Die über den Umfang der russischen Rüstungsindustrie im Ausland umlaufenden 
Gerüchte sind übertrieben. Sie sind es zum mindesten in bezug auf den Flugzeugbau; 
hier kann man überhaupt vorläufig wohl kaum von einer russischen Eigenindustrie 
sprechen. Die große Masse der russischen Flugzeuge ist deutscher Herkunft. So hat 
z. B. die von der Firma Junkers in Moskau errichtete mustergültige Flugzeugfabrik 
etwas über hundert Apparate an die Rote Armee geliefert. Was an russischen selbst¬ 
gebauten Flugzeugen vorhanden ist, sind dürftige Nachbildungen älterer, meist 
englischer Typen. Der Flugmotorenbau steckt in den Kinderschuhen. Gerade auf 
dem Gebiet technischer Leistungen muß empfohlen werden, russischen Gerüchten 
gegenüber skeptisch zu sein. Der phantasievolle Russe ist zwar zu Erfindungen wohl 
befähigt, aber zu wenig energisch, um technische und wirtschaftliche Ideen rasch und 
ausgiebig zu verwirklichen. Er beweist in diesen Dingen eine groteske Unfähigkeit. 
Hier mag ein Wort über den Spieltrieb eingeschaltet werden, der der russischen 
Psyche eigen ist und bei den temperamentvollen Bolschewik! in besonderer Blüte 
steht. Was in diesem Lande in den letzten acht Jahren zusammenexperimentiert 
worden ist, wie unzählige Male auf den verschiedensten Gebieten die Richtung ge¬ 
ändert und dieselbe Sache immer wieder anders aufgezäumt worden ist, das zu schil¬ 
dern muß einem Satyriker vom Ausmaß Bernhard Shaws vorbehalten bleiben. Aber 
in dieser Energie verschleudernden Schwäche des Systems liegt auch eine Stärke: 
als schlecht oder unpraktisch Erkanntes wird viel unbekümmerter über Bord ge¬ 
worfen als in den bedächtigeren und schwerfälligeren alten Staaten. 
Man kann nicht generell den deutschen Wirtschaftsführern sagen: „Nehmt Konzes¬ 
sionen in Rußland" oder „nehmt keine". Man kann ihnen nur sagen, daß der 
Abschluß eines Konzessionsvertrages eine ungeheure Geduld, größte Vorsicht und 
Sicherungen nach möglichst vielen Seiten voraussetzt. Es gibt heute Konzessionäre, 
landwirtschaftliche und industrielle, die erklären, man könne, wenn man nicht 100% 
verdienen wolle, ganz gut mit den Bolschewik! arbeiten. Am günstigsten sind wohl 
gemischt-wirtschaftliche Konzessionen, d. h. solche, an deren Erfolg die russische 
Wirtschaft unmittelbar interessiert ist. Jedenfalls ist es notwendig, daß die deutsche 
Wirtschaft — bei aller Vorsicht — ihre Beziehungen zur russischen Wirtschaft soweit 
wie möglich ausbaut, und sei es unter vorläufigem Verzicht auf Gewinne. 
Ein kluger Kenner des alten und des neuen Rußland sagte einmal, das neue sei un¬ 
gefähr der gleiche Gewaltstaat, wie es das alte gewesen war, und viel mehr als 
die Vorzeichen hätte sich nicht geändert ; aber das geschichtliche Verdienst der Bol¬ 
schewik! sei es, daß sie die fast noch im Urschlaf liegenden großen Volksenergien 
des Ostens geweckt hätten und die riesigen Naturschätze des nördlichen Asiens zu 
mobilisieren begännen. Wenn dieser Mann recht hat, dann braucht die Notwendigkeit 
der deutschen wirtschaftlichen Einfühlung in den neuen Osten nicht bewiesen zu 
werden. Schon jetzt sehen wir, daß trotz Stümperei und Spielerei, trotz größter 
Kapitalnot und mangelndem technischen Können, die wirtschaftliche Entwicklung 
vorwärts schreitet. Wir beobachten von Monat zu Monat deutlicher, daß die kapi¬ 
talistischen Staaten einschl. Amerikas dem östlichen Wirtschaftskomplex nicht mehr
	        
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