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Ich sage der Wache, daß wir zu früh gekommen sind und
ich im Pastorhaus anfragen will, wann der Gottesdienst be
ginnt. Die Kerle gehen auf meinen Vorschlag ein. Während
wir um den Kirchgarten biegen, kommt uns eine der Damen
entgegen mit zwei Kindern. .Die Kinder sind-eine gute Deckung.
Famos, heute habe ich Dusel.
Die Posten find wie vernagelt, mit Blindheit geschlagen.
Sie bleiben ruhig an der Gartenpforte stehen und lassen mich
allein. Ich gehe um das Haus dem Kücheneingang zu. Hier
treffe ich ein Dienstmädchen. Ehe ich noch den Mund öffne,
sagt sie: „Göttchen, Herr Volck, wo kommen Sie her?"
Wa—was? Äfft mich ein Spuk? Mitten in Sibirien nennt
mich ein Dienstmädchen beim Namen. Ich muß ein sehr dum
mes Gesicht gemacht haben. Sie lacht. — „Zum Teufel, kennen
Sie mich denn?" „Natürlich," sagt sie, „ich war doch Kinder
mädchen bei Ihnen in Dorpat, ich bin doch die Mila." Donner
wetter, hat die ein Gedächtnis! Langsam kommt mir eine blasse
Erinnerung. Richtig, ich hatte ja mal eine Esthin als Kindermäd
chen. Die Mila—natürlich. Damals war ich acht Jahre alt.
Dann erzählte sie, wie es in Dorpat aussieht, der alten Hei
mat. Sie ist lange nicht dagewesen, fährt aber übermorgen
hin, hat schon Paß und Billett. Famos, famos — schnurriger
Tag heute. Ich trage ihr an verschiedene Adressen Grüße auf.
„Man soll alles tun, was ich schreibe, verstanden ?" „Gut, gut,
Herr Volck, werde alles ausrichten. Wie groß Sie geworden
sind und deutscher Offizier." „Jawohl, und Flieger." „Hu,"
sagt sie und sieht mich groß an. So plaudernd steigen wir die
Treppe hinauf in die Küche.
Plötzlich geht Meine Landsmännin hastig an mir vorbei,
drückt mir ein Päckchen in die Hand und steigt die Treppe
hinunter. Ich kann ihr gerade noch zurufen: „Auf der ober
sten Kirchenstufe liegt ein Brief in grauem Papier." Dann ist