Volltext: Die Wölfe [42]

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Volksstamm kennen, dem ein siedendes Blut in den Adern kocht, 
wenn er feine orientalische Würde und Langsamkeit beiseite 
legt. Die Nächte waren nie still, sie hallten von Schüssen, — 
Blutrache oder Viehraub. Eisern halten die Inguschen an uralt- 
heiligen Gesetzen, in die Tradition und Urvätergeist sie zwängt. 
Wehe dem, Inguschen oder Fremden, den ein bleicher 
Mondschein lockt, über eine Hecke mit einem jungen Jnguschen- 
blut Liebesworte zu raunen. Ein Verwandter der jungen 
Sünderin stößt dem Schänder der Familienehre seinen kalten 
Dolch zwischen die Nippen. Ein Weib, das Ehebruch treibt, 
wird nach dem Gesetz von ihrer Sippe mit Steinen erschlagen, 
den Ehebrecher rettet nur Flucht in die ödesten Felsen vor den 
Flinten, die Blutrache suchen. 
Vor meinem Fenster auf dem Dorfplatz war ein Brunnen. 
Schlanke Frauen gingen unverschleiert mit wiegenden Hüften, 
den zinnernen, schmalen Schöpfkrug auf der Schulter, wie 
einst Rebekka zum Brunnen schritt. Begegnete ihnen ein 
Mann, so standen sie mit abgewandtem Gesicht beiseite, bis er 
vorüberschritt. Nie darf ein Weib den Weg eines Mannes kreu 
zen. Rur mit Männern ihrer Verwandtschaft darf sie stehend 
sprechen und nur nach Aufforderung des Mannes sich setzen. 
Manchmal jagten über den sommerverschlafenen Platz auf 
geregte Männer mit Flinten und entblößten Dolchen. Dann 
war in irgendeiner Gasse die Blutrache an der Arbeit, oder 
Stahl und Blei entschieden über nichtige Kleinigkeiten. Schüsse 
krachten, Stimmen brüllten, bis sich wieder tiefe Ruhe auf 
den Dorfplatz hockte. Ab und zu kam mit langen Schritten 
der hundertjährige Greis auf unser Haus zu. Über seinem 
Purpurkleide flatterte eine grüne Tscherkeßka, die mit runden, 
kleinen Stahlschildern übersät war — Orden, die der Krie 
ger aller Krieger Schamil seinen Anhängern geschenkt hatte. 
Während Jsmael ärgerlich und gelangweilt den Dolmetscher
	        
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