Volltext: Sterbende Welt

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Einundzwanzigstes Kapitel. 
Und Reischek schaffte auch hier mit Leidenschaft und Feuer. 
Ich sehe es als einen fast biblischen Heroismus an, daß mein 
Vater, dessen Geist und Seele frei waren, der aus einem Lande 
der Freiheit kam, in dem die Menschen nach ihrem Persönlichkeits— 
werte geachtet werden, hier, in der Enge einer Heimat, ohne Haß, 
ohne Gedanken an Flucht aus dem Joche diente. 
Diese Heimat, in der ein stumpfsinniger Kastengeist über alles 
Schöpferische triumphierte, die einen Ressel, Kreß und viele andere 
Erfinder, Künstler, Wissenschaftler, schöpferische Menschen in Armut 
gleichgültig hatte zugrunde gehen lassen, und diese dominierende 
Dummheit, die es Reischek fühlen ließ, daß er „nur“ ein Self— 
mademan, nur ein Präparator war und kein akademisch Gebildeter: 
dies bescheiden und zufrieden zu tragen, obwohl er in einer eng— 
lischen Kolonie gelebt, die ein solches Leben nicht für möglich ge— 
halten hätte, und obwohl er unter den Maori die Urkraft edler Ein— 
falt kennengelernt hatte: ist das nicht Heroentum der Heimatliebe!? 
Es sei mir vergeben, wenn ich — weil es mein Vater war — 
sein Verdienst überschätze und die Heimat anklage. Die Er— 
zählung des weiteren Schicksals Reischeks in seiner Heimat soll 
dem Leser ein objektives Urteil ermögliche. 
Reischek hatte sein Versprechen, die einzigartigen Sammlungen 
seiner Heimat zu geben, gehalten. Nun war er da und glaubte, 
das Hofmuseum werde ohne Zögern sein Angebot annehmen. Er 
war arm und konnte die Schätze nicht verschenken; aber er forderte 
nur so viel — in Wirklichkeit viel, viel weniger —, als er dafür an 
Geld aufgewendet hatte. Der sehr bescheidene Betrag sollte es ihm 
ermöglichen, seiner Familie ein eigenes Heim und eine bescheidene, 
aber von den drückendsten Sorgen freie Existenz zu schaffen. 
Aber SOsterreich hatte auch dieses Geld für ihn nicht übrig. 
Wohl entbrannte in den Zeitungen ein papierener Kampf, der mit 
Zuhilfenahme aller rhetorischen Waffen das Külturgewissen Oster— 
reichs wachrufen sollte. 
Reischek erhielt inzwischen um Vielfaches höhere Angebote vom 
Ausland, insbesondere aus England; aber er wartete. Es kamen 
viele ausländische Gelehrte, darunter Virchow, die von der Fülle 
und der Leistung überrascht waren und die ihm dringend rieten, 
wieder einzupacken und abzureisen. Aber Reischek wartete. Nach
	        
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