Volltext: Festschrift zur Erinnerung an die feierliche Einweihung des israelitischen Tempels in Linz des ersten in Oberösterreich

34 
wenn ich mir die Eintheilung nach dem Geschlechte denke, so muß ich 
zugestehen, daß ich doch mehr Vorliebe und mehr Adhäsion empfinde für 
jenes jüdische Geschlecht, welches wir sonst nicht das starke nennen. 
Heiterkeit) Zu dieser Betrachtung hat mich eigentlich die Wahr— 
nehmung geführt, daß, so lange! und so viel ich Toaste hörte, immer 
nur die Herrn der Schöpfung sich selbst verherrlichten und ver— 
götterten. Das ist so Sitte, meine Herrn, aber man vergißt dabei, 
daß jenem andern Theil des Judentums, den man das schönere Geschlecht 
nennt, unläugbar größere Vorzüge innewohnen, als den Herren der 
Schöpfung, die sich gegenseitig immer bejubeln und leben lassen. 
Sehen Sie, meine Herrn, das Judentum zeigt Ihnen Exemplare von 
Frauen, ohne deren Wirken, Opferwilligkeit und Opferfähigkeit wir 
nichts oder lange nicht das geworden wären, was wir sind. Sehen 
Sie, wenn Moses keine Mutter gehabt hätte, wenn diese Mutter nicht 
so sorgsam und ängstlich am Nile gewacht hätte, damit ihr Knäblein, 
welches nach dem Willen des Tyrannen dem Tdde preisgegeben war, 
gerettet werde, dann wären Sie, meine Herrn, nicht diejenigen, die 
durch Moses zum erwählten Volke geworden. (Heiterkeit.) I 
Wenn die fromme Anna nicht eine ganze Nacht lang gebetet 
hätte, um einen Sohn zu bekommen, dann hätten wir keinen Samuel 
und ohne Samuͤel, was wäre aus uns geworden. Wenn die Tochter 
Jephtas sich nicht hingeopfert hätte, weil es das Wol des Vaterlandes 
verlangte, und wenn sie nicht so willig und freudig in den Tod ge— 
gangen wäre, obwol sich für sie kein gefälliges Widderlein in Bereit— 
schaft hielt, um — wie dies einem Helden männlichen Geschlechtes 
passirte — die Rolle des Opfers zu übernehmen, dann hätten wir ja 
unter unseren Eigenschaften kaum auch den Heroismus anzuführen. 
Ich könnte, wenn ich bei Stimme wäre, auch das Lied von der De⸗ 
borah singen, ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von Frauen 
vorführen, die unser Stolz sind und ohne die wir nicht das geworden 
wären, was wir sind. Aber wozu sich hiebei in das Altertum ver— 
lieren; wir haben sie ja vor uns, die lebenden Beispiele, nur hat/es 
damit ein anderes Bewandtnis. Sehen Sie, meine Herrn, man sagt, 
die Zeit der Wunder sei vorbei. Das ist nicht richtig. Die Wunder 
bestehen, wir gewahren sie nur nicht, weil sie uns alltäglich geworden, 
weil wir mit ihnen aufgewachsen sind. Ich will ein ganz triviales 
Beispiel gebrauchen. Sie legen ein Saatkorn in die Erde, und durch 
eine wundervolle Maschinerie haben wir daraus nach einiger Zeit ein 
förmliches Brod. Es wird zur Sange, zur Frucht, zum Mehl, zum 
Teige und dient zu unserer Ernährung. Ist das nicht ein Wunder,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.