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nur einen Augenblick des Daseins sehen, so meinen wir, es sei seit jeher |
s o gewesen. Wir Kinder der flüchtigen Stunde können es gar nicht fassen, ■
wie eine alles bewegende Urkraft und Unrast stets an der Arbeit ist, ohne
Ueberstürzung Neues zu bilden. In einen Abgrund der Erdgeschichte sehen
wir und nur der langsame Gang, mit unseren Menschenmaßen gemessen,
verschleiert das dämonisch Ungeheure des Ereignisses.
Ganz allmählich, ohne jede wüste Störung haben sich einst Land-
und Erdteile gehoben, wie ja noch heute Schweden, Norwegen, Finnland
immer mehr aus dem Meere steigen. Die schwedische Küste hat sich in der
Gegenwart in .100 Jahren stellenweise um 1V2 Meter gehoben, diese Be
wegung dauert schon Jahrtausende an. Umgekehrt sinken die deutsche Ostsee-
und holländische Nordseeküste. Solcher Zentimeterzuwachs gründet Erdteile
oder laßt sie versinken. Für die Natur ist diese Arbeit nicht schwerer als
sie der fallende und rinnende Regentropfen verrichtet, der ja auch Gebirge
abträgt und ins Meer schwemmt. Die Natur hat keine Eile, sie kann sich
Zeit lassen.
Nun kommen wir zw den Geschicken unseres Landes zurück. Wer
vor einer Zeit, die älter als alle Menschenahnung ist, von den Küsten
bergen des Mühlviertels Ausblick genommen hätte, der sah an Stelle
unseres heurigen Heimatlandes ein recht wechselvolles, ereignis
reiches Bild. Land und Meer stritten sich zeitweise um die Herrschaft. ■
So war im Kambrium (Zeit des Altertums der Erde) Europa ein Land.
Im unteren Devon (geol. jüngere Zeit) war das Mühlvierlel eine Insel im
Tethysmeer, das übrige Oberösterreich also unter Wasser. Im Karbon bil
dete ganz Europa eine Halbinsel im Zusammenhange mit Amerika und
Grönland. Im oberen Trias und Jura war das Mühlviertel wieder wie
früher eine Insel im Tethysmeer, welches sich später so ausbreitete, daß im
Altterriär der atlantische Ozean eingebrochen ist. Im folgenden Verlauf der
Erdgeschichte bildete sich allmählich der gegenwärtige Zustand aus. Durch
alle Zeitverhältnisse hindurch stand allein der Nordteil unseres Landes auf
einem unzerstörbaren Damm der Erde, so stark, daß die später vor sich
gehende Aufwerfung der Alpen durch dieses zusammenhängende unverrück
bare Erdgebilde, das sogenannte böhmische Massiv, geradezu beeinflußt
worden ist. Dieses Festlandsmassiv bild et eine Masse kristallinischen Gesteins,
das die Donau in unserem Lande oberirdisch nur im Sauwald, Mayer
hoferberg, Kürnberg und bei Schärding überschreitet, nach Westen sich in
den bayrischen Wald, nach Osten ein Stück nach Niederösterreich und Mähren
fortsetzt. Dieses Stück Erde hat seit Urtagen seine eigene Geschichte.
Der Boden des Mühlviertels ragte früher viel höher
empor, er ist im steten Abtragen begriffen und zeigt nur mehr die Grund
mauern einstiger gewaltiger Gebirge, welche durch die Tätigkeit von Wasser
und Wind bereits bis an seinen Sockel abgetragen sind. Die Verwitterung
dauert an. Wie der Augenschein jedermann darlegt, ist das Mühlviertel
ein eigenartiger Landstrich ehrwürdigsten Alters, der standgehalten hat, als
alle Welt rings herum durch ungemeffene Zeiträume auf- und niederwogte.