Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1913 (1913)

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Die Viehkönigin von Oklahoma. 
Das klingt wie der Titel eines Hintertreppenromans oder eines Melo 
dramas. Etwas davon haftet auch tatsächlich an der Laufbahn der 82jährigen 
Jane Applebee in Tulsa, einem Örtchen im nordamerikanischen Staate 
Oklahoma, der noch vor gar nicht langer Zeit zum wildesten Westen ge 
hörte; teilweise läßt er auch heute noch an Unkultiviertheit nichts zu wünschen 
übrig. Noch heute tummelt sich dort der Indianer, freilich nicht mehr als 
sein eigener Herr, der auf seinem Mustang die endlose Prärie durchstreift 
oder ans Viehdiebstahl ausgeht oder gar die verhaßten Bleichgesichter mas 
sakriert. Er ist heute Fürsorgepflegling Onkel Sams, muß zur Schule 
gehen und Ackerbau treiben — sehr zu seinem Vorteil. Denn der Stamm 
der Osages-Jndianer ist der reichste aller seßhaft gewordenen Indianer- 
stämme und sogar die reichste aller „Nationen", da sich die Osages als 
Nation betrachten. Hier unter den Osages wuchs Jane auf. Sie selbst 
ist keine Indianerin, sondern eine Weiße. Da ihre Eltern früh gestorben 
waren, nahmen sie die Osages bei sich auf und sorgten für sie. Sie heiratete 
auch einen Osage-Jndianer, der ziemlich kultiviert gewesen sein muß, weil 
er als Dolmetscher in Washington Beschäftigung fand. Aber er war ein 
armer Teufel. Er starb, als Jane 50 Jahre alt war, und hinterließ ihr 
nichts als 15 Kinder, erwachsene und unmündige. 
Jane war eine tapfere, Willensstärke und arbeitsame Frau. Sie sagte 
sich, daß sie die noch nicht selbständigen Kinder zu ernähren hatte, ganz 
gleich, auf welche Weise. Sie versuchte sich zunächst als Waschfrau und 
Schneiderin, stand von früh bis in die Nacht am Waschfaß oder nähte. 
Aber so emsig sie die fleißigen Hände rührte — der Verdienst genügte 
nicht, um sich und ihre Familie zu ernähren. Da beschloß sie, Viehzüchterin 
zu werden. Das gelang bald, denn in Oklahoma ist die Viehzucht, wie an 
derswo im Westen Amerikas, ein einträgliches Geschäft. Überdies war es 
nichts Seltenes, daß auch Frauen irgendwie mit der Viehzucht zu tun 
hatten. Nicht wenige von ihnen reiten wie ein „Cowboy" und verstehen 
wie diese den Lasso zu werfen und das Vieh einzutreiben. Auch Jane 
fühlte sich im Sattel so zu Hause wie in der Waschküche. Endlich hatte 
Jane ein wenig Geld sich vom Munde abgespart. Dafür kaufte sie eine 
Kuh und ein Kalb. Das war der Anfang ihres Glücks. 
Jeden Frühling treiben texanische Viehzüchter große Herden von 
Rindern, oft zu tausenden, nach dem benachbarten Oklahoma, das damals
	        
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