Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1892 (1892)

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Da schrie er wild, verzweifelnd in die Berge: „Hinweg mit dir, 
Gerechtigkeit, es gibt keine Gerechtigkeit!" 
Und wieder rollte der Donner hoch oben in den Wolken. 
Vorwärts, immer vorwärts stürmte der Wanderer, einem bestimmten 
Ziele zu. Immer näher und näher kam das Gewitter, immer mehr und 
mehr rollte der Donner. Da plötzlich fuhr ein Blitz hernieder und beleuchtete 
hell die ganze Umgebung. 
Der bärtige Wanderer befand sich auf der Spitze eines Hügels, in 
der Nähe des Friedhofes. Hastig, mit klopfendem Herzen, sprang er über 
die Friedhofmauer, — er war im Kirchhof. 
Und als er zu einem Grab hinkam, da stürzte er hin auf dasselbe, 
umfieng mit seinen Armen den kalten Hügel und küßte ihn. Dann schluchzte 
er laut und rief in einemfort: „Vater, mein lieber, guter Vater!" 
Und mitten in seinem Schmerze hörte er in seinem Inneren eine 
Stimme rufen: „Thut Euere Schuldigkeit!" 
Und wiederum würd' sein feuchtes Aug' zornig und seine Fäuste 
ballend, schrie er verzweifelnd: „Es gibt keine Gerechtigkeit!" 
Da fuhr zum zweitenmal ein Blitz vom Himmel nieder und be 
leuchtete die Gräber der Todten. 
Und der Mann sah in seiner Nähe ein noch frisch aufgeworfenes 
Grab. Die Nengierd' trieb ihn zu demselben. Er las den Namen auf dem 
blauen Kreuzlein. 
Da würd' er etwas heiter. „Sie lebt nicht mehr," sprach er still — 
„hat den Tod erwählt, bevor's den Grubenbauer geheiratet hat. „Leb' 
wohl, Rosl," sagt' er noch — und schwang sich über die Mauer aus dem 
Gottesacker hinaus. Und weiter gieng's dem Grubenhofe zu. 
Immer schwärzer würd' der Himmel und immer stärker und stärker 
rollte der Donner aus dem Gewölke. 
Es war gerad' so, als ob der Herr zürnen würde. 
Etwa zweihundert Schritte noch befand sich Rudolf, denn dies war 
der Mann, vorm Grnbenhof. Er hatte bereits eine Zündschnur mit Brenn 
stoff aus der Tasche genommen und dies fest in der Hand haltend, streckte 
er dieselbe gegen Himmel, indem er ausrief: 
„Es gibt keine Gerechtigkeit, ich werde mir sie selbst ver 
schaffen!" 
Und wieder fuhr ein Blitz hernieder und ein Schlag erdröhnte die 
Erde, als ob die Berge gespalten wurden. 
Entsetzt blieb er stehen. 
Und wie er stand und neuen Muth fassen wollte, da wurd's Licht 
im Grubenhof. Versteinert sah er hin. Kein Zweifel war's — der 
Grubenhof stand in Flammen, der Blitz hatte eingeschlagen. 
Da überkam dem unmittelbar vor dem Verbrechen stehenden Schmied 
tiefe Reue über sein geplantes Vorhaben und wild stürmte er gegen den 
Grubenhof — um retten zu helfen. 
Als er zum Hofthore des Grubenhofes kam, stand bereits alles in 
Flammen. Kein Mensch rührte sich in demselben — alles schlief. 
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