Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1892 (1892)

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Jetzt wurden des jungen Schmiedes Augen naß. Mit seltener Leiden 
schaft und hingebungsvoller Liebe drückte er seine treue Rosl an sein Herz. w( 
„Liebe und Treue, wie seid ihr so schön, 
Doch selten kann man euch finden, kei 
Gar schnell thun Liebe und Treue vergehen 
Wie's Feuer vom Stroh verzünden. 
Drum glücklich, der Liebe und Treue gefunden, zu 
Ein Herz, das ganz mit ihm schlaget, 
O, herrlich und schöne, glückselige Stunden, cn 
In den Himmel hinauf ihn traget." I zu 
Kaum eine kleine Viertelstunde war verstrichen, seitdem sich die zwei zr 
Liebenden getrennt hatten. Rudolf war zum Krankenbette seines Vaters 
rückgekehrt und lauschte den Athemzügen des Greises. Plötzlich hörte er ir 
Tritte im Hausgange, als von mehreren Menschen herrührend. Nicht lange , E 
konnte er darüber nachdenken, wer denn diese Besucher sein mögen, denn schon dt 
klopfte es an der Thür und hereintraten drei Männer. Erst der Gerichts 
diener, dann der Advocat und als letzter, hochaufgerichtet, der — Gruben- n 
bauer.' Erschrocken fuhr der junge Schmied zurück und der kranke Mann, § 
aufgeweckt aus seinem leisen Schlafe, sah starren Auges die Leute an, welche 
zu Besuch gekommen waren. e' 
„Meister Schmied," mit diesen Worten trat der Amtsdiener zum 6 
.Kranken hin, „ich hab' Euch diese Pfändung zu überreichen, welche der 
Grubenbauer gegen Euch eingebracht wegen der ihm schuldigen zweitausend d 
Gulden. Es steht an Euch, dieselben jetzt zu erlegen mit sammt den Kosten. 
Sonst müßte ich ohne Weil' die Pfändung vollziehen und auch den Schuld- i 
gefängnis-Haftbrief Euch übergeben. o 
„Nun, erklärt Euch, Oberndorfer!" i 
Der Alte wollte etwas sprechen, doch er war dies nicht imstande. Die ! I 
Aufregung, in welcher er sich befand, raubte ihm die Sprache. s 
Jetzt erst kam Rudolf zu Worte, denn auch er war derart erschrocken, 
daß er sich erst fassen mußte. Einen Schritt vorwärts machend trat er vor ( 
ben Grubenbauer und ihn fest ansehend redete er also: 
„Grubenbauer! Ich will hoffen, daß Ihr nicht wußtet, daß mein ! 
alter Vater dem Tode nahe und vor einer halben Stunde erst versehen 
wurde. Darum bitt' ich Euch, laßt ab für heut' von Euerem Beginnen, und 
schont den alten kranken Mann. Gab's auch Streit zwischen uns zweien 
das soll den Vater doch nicht treffen. Er kann ja nicht dafür und hat für 
Eueren Vater immer auch das Wort gered't. Und 's Geld, Grubenbauer, das 
steht ja sicher! Wegen der paar rückständigen Gulden Interessen dürft Ihr doch 
nicht gleich so auftreten und auf der Stell' das Capital gleich fordern." 
Unbeweglich stand der Grubenbauer und antwortete dem Rudolf 
nichts. Zum Amtsdiener aber sprach er: „Thut Euere Schuldigkeit!" 
Ergriffen stand der Amtsdiener in des Schmiedes Zimmer vorm 
kranken Greis und konnt' nicht weiterreden. 
Da sprach der Grubenbauer zum zweitenmale: „Amtsdiener, thut 
Euere Schuldigkeit im Namen des Gesetzes!"
	        
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