Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1875 (1875)

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Seine für Menschen und Thiere oft bis zum Tode giftige Eigenschaft 
ist hinlänglich bekannt; das Mutterkorn erzeuget eigenthümliche Pflanzen 
krankheiten. 
In größerer Menge (zu */ 6 —V 5 ) dem Getreide beigemischt, macht es 
den Genuß des daraus bereiteten Brotes rc. gefährlich. Von besonderem 
Interesse sind die zu verschiedenen Zeiten in Folge des Genusses von stark 
Mutterkornhaltigem Brote entstandenen langwierigen Vergiftungen, welche als 
endemisch und epidemisch grassirende Seuchen in verschiedenen Ländern 
geherrscht haben. Hieher gehören: 
u) der Mutterbrand (Brandseuche, Ignis sacer, Ignis 
Sancti Antonii, Pestis ignaria); welcher besonders in Frankreich seit 
dem IX. Jahrhunderte auftrat; 
d) und die Kriebelkrankheit (Ziehe, Kornstaupe, Phapharia); 
die von- der Mitte des XVI. bis zu Ende des XVIII. Jahrhundertes, in 
öfters wiederkehrenden, oft sehr heftigen Bolkskrankheiten in Brabant, Deutsch 
land, Italien, Schweden rc. gewüthet und auch im XIX. Jahrhunderte noch, 
theils sporadisch, theils epidemisch beobachtet wurde. 
Johann Peter Frank schreibt darüber in seiner medizinischen 
Polizei (3. Auflage, Wien 1787, III. Band, Seite 204—207): 
In der französischen Provinz So log ne wachset das Mutterkorn 
vorzüglich stark, und dieser Gegend hat es sowohl den Namen Ergot als den Ver 
dacht eines wirklichen Giftes vorzüglich zu verdanken. Nach dem harten Winter von 
1709 genoßen die armen Leute daselbst den im vorhergehenden Jahre mit einem 
Viertel- Theil Mutterkornes vermischten Roggen. Bald hieraus befiel eine Menge 
dieser Elenden der trockene kalte Brand, und sie verloren auf die erbärmlichste 
Weise ein Glied um das andere. Noch itzt (1776) bringt diese unglückliche Provinz, 
deren Einwohner meistens sehr erschöpfte Menschen mit dicken Bäuchen vorstellen, 
mehr Mutterkorn als ganz Frankreich überhaupt. Die königliche Ackerbau-Gesellschaft 
zu Mans ließ daher noch in letzteren Jahren eine Ermahnung an das Volk 
wegen dem verdeckten Gift des Mutterkornes zu Dijon drucken, 
in welcher man nach den sichersten Erfahrungen und nach Erwähnung der in Sologne 
kurz vorher beobachteten Unglücksfälle versichert: daß in einem kurzen Zeitraume da 
selbst aus dieser Ursache gegen 8000 Menschen an bösartigen Zufällen und dem Brande 
gestorben seien. Eine Garbe, welche daselbst ungefähr 14 Pfund Korn geben konnte, 
gab 1777, noch in der Scheune, bis wohin doch vieles ausgefallen war, 8 Unzen 
(16 Loth) Mutterkorn, und 12 Garben, welche, ohne Auswahl genommen, zwölf 
Scheffel Roggen geben mochten, lieferten noch den vierten Theil eines Scheffels. 
Nach einiger Zeit ward man auch in Deutschland auf dergleichen Uebel 
aufmerksamer. Schon vorher, 1596, beschuldigte die medizinische Universität zu M a r- 
purg das Mutterkorn wegen einer damals in Hessen herrschenden Krankheit, worin 
vorzüglich Krämpfe und Zuckungen bemerkt wurden. In den Jahren 1648, 1649, 
1675 war das V o i g t l a n d mit diesem Uebel heimgesucht; 1716 Sachsen und 
und die Lausitz. Das folgende Jahr beklagten sich dessen mehrere Gegenden Deutsch 
lands. Die Neumarkt ward 1741 damit befallen. In der Schweiz wüthete die 
Kriebelkrankheit 1716 im Kanton Zürich und schon 1709 im Kanton Bern, 
L u e e r n. Die Zufälle kamen überhaupt viel mit den Solognischen überein. Nach und 
nach klagten bis auf unsere Zeiten verschiedene deutsche Provinzen über die
	        
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