Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1900 (1900)

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Bauer hingeht zum Werksherrn, sein Merkbrett, den „Rasch", zeigt und sagt: „Euer 
Gnaden, so viel Wägen voll hab' ich gebracht." 
Der Werksherr sieht ihn kaum an; nur auf das Merkbrett wirft er einen Blick, 
dann nimmt er ein Paket Banknoten aus einer Lade und zählt dem Holzbauer davon 
vor. Es sind dreißig Gulden! Das Bäuerlein schielt verstohlen und ein wenig lächelnd 
auf die Banknoten; so viel Geld hat es schon lange nicht mehr gesehen. 
„Habt gut gemessen, Alter," sagt der Werksherr und wirst dem Bauern noch 
einen Gulden hin. „Vergelt's Gott tausendmal!" ruft dieser aus und will dem reichen 
Manne die Hand küssen; aber der Werksherr brummt: „Schon gut!" und winkt gegen 
die Thür. 
Das ist denn heute nach so vieler Mühe und Plage ein Freudentag für den 
guten Landmann. Ein Gläschen Wein darf er sich wohl vergönnen. Er eilt ins Wirts 
haus und setzt sich an den hintersten Tisch, damit er mit seiner Freude allein ist. Er 
Zählt das Geld: das sind drei neue, große Banknoten und noch ein kleiner vom guten 
Herrn extra. Das reicht aus über den Winter, der vor der Thür ist, und der Mann 
braucht jetzt wochenlang nicht zu sorgen und zu darben. Aber der Wein will ihm gar 
nicht munden, weil er so allein dabei sitzt, es ist besser, er nimmt 'ihn mit heim zu 
Weib und Kindern. „Herr Vater!" ruft er dem Wirte zu, „füllt mir eine Maß Wein 
ein und leiht mir die Flasche dazu, am nächsten Samstag bring' ich's schon zurück." 
Auch einige Semmeln steckt er noch in die Tasche; dann zahlt er und wandelt seinem 
Berge zu. 
Daheim veranstalten sie nun ein kleines Fest. Die Mutter kocht einen Erdäpsel- 
sterz, die Kinder decken den Tisch auf und streiten sich schon um den Platz bei Vater 
und Mutter, und der Mann legt die Semmeln hin und stellt die Flasche Wein dazu; 
so haben es die Kinder noch nicht gesehen auf ihrem Tische! Endlich steht die frische 
Milchsuppe und der dampfende Sterz da; die Kleinen knien aus der Bank, weil sie sitzend 
nicht in die Schüssel langen könnten, schielen aber während des Essens immer und 
immer auf die schwitzende Flasche, bis die Mutter endlich einen Hafen bringt und Wein 
in denselben schenkt. 
„G'seg'ns euch Gott, Kinder! G'seg'n dir's Gott, Weib!" ruft der Vater 
lächelnd. „Morgen geh' ich ins Dorf um Lebensmittel und die Kleinen kriegen jedes 
einen Lodenrock.'" 
„Und ich brauch' eine Fibel, Vater," sagt das kleine Mädchen, und alle drängen sich 
nun schmeichelnd um den Alten und jedes braucht sehr nothwendig was Besonderes für sich. 
„Nur ruhig," meint der Vater, „Terno habe ich auch just keinen gemacht; aber 
was nothwendig ist, das werde ich euch kaufen." 
Jetzt klopft es an der Thür. Alle schweigen und horchen, es hat in ihrem Leben 
noch niemand an die Thür geklopft; alle haben ohne die Höflichkeitsform geöffnet, wie 
es Sitte ist auf dem Lande. Wenn's ein Bettler ist, denkt sich das Weib, so muß ich 
ihm einen Löffel Sterz anbieten; ein andermal, wenn ich keinen hab', kann ich's auch 
nicht thun. 
Nun öffnet sich die Thür, der Amtsdiener vom Bezirksgerichte tritt ein. „Guten 
Tag," sagt er und hält dem Bauern einen Zettel und das blaue Büchel hin. „Es ist 
zum Steuerzahlen." 
„Ist schon recht," sagt der Bauer, „ich werd' schon zahlen; wie viel macht's denn?" 
„Ist man denn blind? Es steht doch da! Neunundzwanzig Gulden achtundzwanzig 
Kreuzer!" 
„Neun — neunundzwanzig, meint Ihr?" versetzt der Bauer und erhebt sich 
langsam, „da lass' ich den gestrengen Herrn wohl um Nachsicht bitten, soviel kann ich 
nicht zahlen. Es wird auch ein Irrthum sein; die Grundsteuer beträgt bei mir nur 
zwölf Gulden." 
„Wenn man's nicht versteht, so thut man am besten, zu schweigen; heißt das da 
nicht: Außerordentliche Zuschläg'?" 
„Aber g'rad' heuer, wo mir der Schauer das Korn in die Erde geschlagen hat 
und meine beste Kuh in der Seuche gefallen ist! Ich weiß mir nicht z'helfen!" 
„Helf' Euch Gott! Ich bin ums Geld da; aber wegnehmen thu' ich's Euch nicht, 
man hat schon andere Mittel: die Auspfändung." 
„Pfänden?" ruft der Bauer. „Was wollt's mir denn pfänden? Etwa die kleinen 
halbnackten Würmer hier?"
	        
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