Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 7/8 1931 (Folge 7/8 / 1931)

Schwerin, Hannover, Berlin usw. aufbewahrt werden, 
sind uns aber nicht nur Beweise einer nicht wieder 
erreichten Kunst des Metallgusses erhalten worden, 
sondern ist uns die Möglichkeit gegeben, auch die glei— 
chen Töne wie damals wieder hervorzubringen. 
Die Luren wurden meist paarweise gefunden und 
beide Hörner sind genau auf den gleichen Ton gestimmt. 
Ein skandinavisches Felsbild stellt sogar, zwei Luren— 
hläser dar, deren Luren die eine nach rechts, die 
andere nach links gebogen sind; sie wurden also gleich— 
zeitig zusammen geblasen! Wir können uns nunmehr 
oorstellen, daß man bei dieser Sachlage ganz von selbst 
auf die Mehrstimmigkeit kommen mußte; es brauchte 
nur einmal ein Bläser „daneben“ zu blasen, so war der 
harmonische Zusammenklang schon gegeben. Ja, je we— 
niger man Uebung haͤtte, desto sicherer stellte sich ein 
olcher ãheraus. Der harmonische Zusammenklang ist 
mithin nicht ein sekundäres Ergebnis einer längeren 
Uebung und Ueberlegung, sondern primär naturgegeben, 
ursprünglich. Wo zweistimmig musiziert wuürde, da 
stellte sich auch die Harmonie ein, unmittelbar und 
ungesucht. Man hat auch drei und mehr Luren zu— 
sammen gefunden, die alle auf einen Ton abgestimmt 
sind. Es ist also anzunehmen, daß auch mehrstimmige 
Akkorde zustande kamen! 
Mit der Bronzezeit schwanden die Luren ebenfalls 
dahin. Wahrscheinlich hat man später die kunstvollen 
Instrumente zu gießen verlernt. Aber wie in der Natur 
nichts verloren bleibt, sondern seine Spuren hinterläßt, 
o auch im geistigen Leben. Die Vorliebe der Germanen 
ür Blasinstrumente und damit für ditonale, akkor— 
dische oder Dreiklangmusik verblieb ihnen auch durch die 
dunklen Zeiten des ersten vorchristlichen Jahrtausend 
dis zur Einführung des Christentums. Und bis auf 
heute! Wir haben schon aus Cäsars Zeit Darstellungen 
germanischer Hörner, und solche kehren immer wieder. 
Sogar Hörner aus massivem Golde, mit Runen ver— 
ehen, sind uns erhalten geblieben! Freilich, das 
Christentum mochte von der alten heidnischen“ Musik 
so wenig wissen als von der altgermänischen Religion, 
und so spielt sich zunächst ein Kampf ab zwischen christ⸗ 
licher und germanischer Musik. Bis vor wenigen Jahren 
var es nicht bekannt, wie die altchristliche Musik ge— 
klungen hat, obgleich sie uns in eigener Tonschrift, 
den sog. „Neumen“, in vielen Niederschriften erhälten 
st; man konnte sie trotz jah rhundertelangen Mühen 
nicht entziffern. Durch meine Forschungen gelanges 
endlich, die alten Zeichen zum Sprechen zu zwingen, 
und wir können nunmehr mit aller Bestimmtheit 
sagen, daß die altchristliche Musik nicht aus dem jüdi— 
schen Tempel, sondern von den Griechen stammt und 
)aß sie die germanische, akkordische Harmonie grund⸗ 
ätzlich vermeidet. Auch der gregoriamis che Gesang der 
atholischen Kirche tut das als Nachfolger jenes alt— 
christlichen durchaus noch heute. 
So stand die christliche Musik in einem ausge—⸗ 
sprochenen Gegensatz zur germanischen Volksmusik. Je 
nehr sich aber der Schwerpunkt des Christentums von 
Süden her in das nordische Deutschland verschob und 
ie mehr das Christentum sich germanisierte, defto mehr 
drang auch die Urharmonie in die gottesdienstliche 
Musik ein, in der bis ins 10. Jahrhundert von Be— 
gleitung und Mehrstimmigkeit noch keine Spur zu fin— 
den ist. Nach der langläufigen Musikgeschichte wird die 
„Erfindung“ des Dreiklanges dem Mönche Hugbald 
letwa 840 bis 930 zugeschrieben; der Name aͤllein 
sagt uns schon, daß Hugbald ein Germane und kein 
Römer war. Von da an dringt das Germanische in 
der Musik immer stärker vor und gestaltet auch den 
Kirchengesang in harmonischer Richtung um. Daun hat 
die gesamte Musik die Entwicklung genommen, die 
vir heute bewundern. Die germanische Volksmusik hat 
immer den Dreiklang als Grundläge behalten. So 
„Alpenländische Musiker-Zeitung“ 
ind die ermanen die Schöpfer nicht nur der deutschen 
Musit, sondern aller heutigen, überhaupt als solcher 
ingesehenen und geschätzten Musik geworden, und Papst 
deo X., der es ja wohl am besten wissen mußte, hat 
recht mit seinem bekannten Worte, daß es zu erst ger— 
nanische Musik gewesen ist, die die Keformatton 
serbeigeführt habe. Würden wir keinen Drei— 
lang kennen, so gäbe es keine neuzeitliche Musik; dann 
Jjäbe es keinen Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beet— 
soven, Wagner: unsere ganze Musik waäre eben nicht 
»orhanden. Sie ist die NBusir aller Kulturvölker ge— 
vorden und somit scheinbar international. 
Die deutsche Musik ist aber nicht nur harmonisch— 
»olyphon mehrstimmig, sondern als wesentliche Eigen— 
chaft muß auch festgestellt werden, daß sie eine Dur— 
nusik ist. Vie Molltonart ist unserem Wesen im Grunde 
remd. Wenn uns so recht wehmütig zumute ist, singen 
vir in Dur: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, 
»aß ich so traurig bin ...“ Niemals aber ist es einem 
deutschen so jämmerlich zumute, daß er dies Lied-ersbä 
n einer Molltonart singen möchte. Weun wir es in 
sieser Tonart spielen, so fällt uns söfort — trotz der 
zleichen Melodie — die Tatsäche auf, daß diese Weise 
twa denjenigen der südrussischen Steppenbewohner 
zleicht, wie wir sie nach dem Kriege in guten Choren 
»on sogenannten „Donkosaken“ und dergleichen auch 
säufiger in Deutschland haben hören können. Moll ist 
ilso eine nichtgermanische, weichliche Tonart, die un— 
erem geraden, traftvollen, aufrechten Wesen nicht ent— 
pricht. Wenn wir unsere Volkslieder durchsehen: sie 
nd fast ausnahmslos auf Dur gestimmt und — das 
t wieder das Bezeichnende — werden überaus häufig 
aden ersten Takten ihrer Melodie durch ein fast 
oldatisches, mit den Luren blasbares Signal bestimmt. 
Lie in der Musik, so ist auch die ganze abendländische 
dultur wesentlich durch die germanische mitbe— 
timmt; wir sollten also stolz unser Haupt erheben, 
veil wir allen anderen Völkern viel mehr gaben, als 
dir von ihnen empfingen. Daß wir aber trotzdem noch 
mmer als „Hunnen“ und „Barbaren“ gelten, ist das 
ßerdienst einer langen Reihe von Vertretern der 
vissenschaft, die vor allen Tatsachen die Augen schlie— 
en, um unentwegt behaupten zu können, daß die 
zermanen bar aller Kultur gewesen wären. Bisher 
alt ja und gilt leider auch heute noch in weitesten 
dreisen, daß uns alles Heil aus dem Süden und 
ten gekommen wäre. So wurde kurz vor dem Kriege 
n Eberswalde ein großer Fund an kostbaren goldenen 
befäßen und Schmucksachen gemacht: Täßchen mit Unter— 
äßchen, Schalen und Ringe — so wunderschön, daß auch 
seute jede Hausfrau, jede prachtliebende Fürstin sie 
gern in ihren Schmuckschrank stellen würde, um sich 
in der wundervollen Arbeit und dem erlesenen Ge— 
chmack der Formen und Zierate zu erfreuen. Flugs 
var schon die Behauptung auf dem Plane: „Ddiese 
veräte sind so schön, daß sie nur auf dem Handelswege 
zus dem Osten, etwa von den Phöoͤniziern, hereinge— 
racht sein können; die dummen' Deutschen können 
o etwas gar nicht gemacht haben!“ So hieß es. Die 
Ultertumsforscher wiesen demgegenüber aber bestimmt 
ach, daß die Geräte schon zu einer Zeit hergestellt 
in mußten, als es geschichtlichU — wie wir es eben 
hon von den Luren hörten — weder Griechen noch 
zhönizier gab. Diese köstlichen Goldgeschirre sind — 
as steht einwandfrei fest — germanisches Kunst— 
rzeugnis. Mit Recht können wir stolz sein auf das, 
vas unsere Vorväter geschaffen haben. 
Wie jeder Erfinder seine Schöpfung für sich bean— 
prucht, so sollten auch wir das Anrecht auf die 
zchöpfung der Musik durch die Germanen für uns 
urückfordern. Wir müssen endlich einmal mit der 
vissenschaftlich ganz unhaltbaren Meinung aufräumen, 
ils ob die Germanen durch die Römer mit der Kultur 
deglückt worden wären.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.