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Kam es den deutschen Führern zunächst nichk zum Bewußtsein, daß
hier mehr als nur ein Nachhutgefecht geführt wurde. Das Aufhalten
der deutschen Kräfte an der Oise hatte für die Franzosen die größte
Bedeutung. Wie es sich herausstellen sollte, war dieser Kampf des
X. Korps der Auftakt zur „Schlacht bei St. Quentin".
Der Kanonendonner von Guife schallt dumpf nach Montigny-
Carotis herüber. Bei dem starken Dunst sind Einzelheiten des
Kampfes jedoch nicht zu erkennen. Zuweilen liegen weiße Schrapnell¬
wölkchen über einer Pappelallee südlich von Guise wie auch über den
kahlen Höhen nördlich der Stadt und geben wenigstens den Anhalt,
daß unsere Truppen noch nicht über Guise hinausgelangt sein können.
Ein Borgehen in der gewünschten Richtung würde zweifellos die
volle Flanke*) des Feindes treffen. Aber der letzte Befehl des
Generals v. B ü l o w von 12'5nachmittags trug dem X. Reservekorps
Berfolgung in südwestlicher Richtung auf; auch sprach der Armee¬
befehl vom Morgen lediglich von schwachen Nachhuten hinter der
Oise. Diese Gesichtspunkte bewogen den Kommandierenden General,
Graf v. K i r ch b a ch, dem Korps v. Emmich die erbetene Unter¬
stützung zu versagen. In dem Konflikt zwischen Kameradschaft und
Befolgung des eigenen Auftrages entschied man sich wohl um so un¬
bedenklicher für letzteren, als es den gültigen Grundsätzen in solcher
Lage völlig entsprach, unbekümmert geradeaus zu bleiben, während
das Siegesrezept von 1870/71, auf den Kanonendonner abzubiegen,
mit Recht für veraltet galt. So hatte es auch der Stabschef, Oberst
Marquard, noch jüngst an der Kriegsakademie gelehrt. Wenn¬
gleich es nach dem unaufhaltsamen Borwärtseilen der letzten Tage
nahe lag, daß das Generalkommando dem Kampf bei Guise keine
größere Bedeutung als den bisherigen Rachhutgefechten beimaß und
daher nur sein fernes Marschziel im Auge behielt, so hätte doch die
Entsendung einiger Bataillone der 19. Reserve-Division mit Artillerie
über Royal der Bersolgungsaufgabe keinen Abbruch getan. Die
günstige Angriffsrichtung versprach einen raschen, durchschlagenden
*).Flanke' ist eine Linie rückwärts eines äußeren Flügels. Mit
.Flügel' wird im allgemeinen nur ein Punkt, das Ende einer Frontlinie
bezeichnet, doch zählt man in größeren Verhältnissen auch breitere Front-
strecken als zum Flügel gehörig.