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auf ihn. Es hat ihn schon vielmal gewurmt, daß ihm die Leute so sehr helfen. Zu
mir sagte er vor ein paar Tagen erst: „Paul wird doch nicht mehr gesund; für
den ist's am besten, wenn er bald stirbt." Der Junge merkt es ganz gut, wie der
Vater über ihn denkt, und ist nachher so betrübt." Seufzend wandte sich die Frau
nach der Seite und blickte bekümmert zu Boden. Ich drückte ihr die Hand und sagte:
„Das muß Ihnen gewiß recht wehe thun, liebe Frau. Glauben Sie mir aber, daß
es Ihr Mann nicht so böse meint, als es Ihnen vorkommt. Wohl nur, weil sich
Paul so quälen muß und zeitlebens unglücklich sein wird, wünscht er ein baldiges
erlösendes Ende. Darin aber gebe ich Ihnen ganz recht, daß Ihr Mann durch
seine Unfreundlichkeit den Jungen sehr kränkt und ihm die Trübsal recht schwer
macht. Bitten sie ihn darum, daß er freundlich mit Paul reden, theilnehmend nach
seinen Leiden fragen und ihn auf bessere Tage vertrösten soll. Das Andere aber
soll er Gott überlassen, der das Leben des Kranken allein in der Hand hat. Er
darf es verlängern oder verkürzen. Was er thut, das ist wohlgethan."
Indem es mir gelang, der schmerzerfüllten Frau durch Worte das Herz etwas
zu erleichtern, ließen sich in der Ferne fröhliche Kinderstimmen vernehmen. Und
siehe — um die Hausecke kam der längst erwartene Patient in heiterem Ge¬
plauder mit feinem Schwesterchen, die deutlichen Spuren der Besserung in Gang,
Haltung und Angesicht verrathend. „Paul", rief ich, „komm' einmal her zu mir!
Ich habe soeben viel Gutes von Dir vernommen. Ich freue mich, daß Du Deine
Leiden so geduldig und muthig getragen hast, wie einst Kaiser Friedrich die feinigen.
Dadurch ist Dir die Trübsal leicht geworden. Fahre so fort, und Du wirst Dich
glücklich fühlen." Dabei hatte er sich emporgereckt und blickte mich nun mit ver-
ständnißvollen, verklärten Augen an. Das gespendete Lob, dazu ein kleines Geschenk
und herzliche Wünsche meinerseits war der wohlverdiente Lohn für fein braves Ver¬
halten. Das Paul mir Gegenbesuche abstattete, nach denen er mich immer recht er¬
muntert verließ, war die Folge unseres Zusammentreffens.
Hut ab! vor einem solchen Knabe«. Ausgerüstet mit mannhafter Ergebung
und felsenfestem Gottvertrauen, schlägt er sich tapfer mit furchtbaren Feinden:
Krankheit, Spott und Lieblosigkeit. Vermag er sich nach einer Niederlage auch
immer wieder aufzuraffen — sein Schicksal ist besiegelt; bald wird er überwältigt
in den Staub sinken. Um fein Haupt aber schlingt sich der Glorienschein eines
Helden, der sich würdig seinem erhabenen Vorbilde mit der goldenen Krone auf
dem Haupte an die Seite stellen darf. Er ist einer von den Vielen, die im Staube
der Armuth und Niedrigkeit ihr Leben unter zahlreichen Entbehrungen heldenhaft
beschließen. Möchten Eltern aus dem Schicksal des vielgeplagten und doch so tapfer
standhaltenden Knaben vor allem die eine Mahnung herauslesen, ihre Kinder abzu¬
halten von Spott und Lieblosigkeit gegenüber ärmeren, kränklichen, körperlich oder
geistig zurückstehenden Kameraden, deren Leiden dadurch noch empfindlicher gemacht
wurden! Mochten alle Eltern im Gegentheil Mitglied mit jeglichem Elend ins
Kindesherz pflanzen, dadurch die Schule in ihrer Thätigkeit unterstützen, Thränen
trocknen, und ihren eigenen Kindern in einem edlen, hilfreichen, guten Setzen die
beste Mitgift fürs Leben zutheil werden lassen!