Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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Ihr Flehen war natürlich umsonst und ich konnte nichts weiter thun als 
meinen Befehl zu wiederholen. Nun begann sie zu schreien und sich zu sträuben 
und nur mit größter Mühe konnten wir sie bändigen und auf ein Pferd setzen. 
Bei Sonnenuntergang trafen wir im Lager ein und ich begab mich sofort ru 
dem Obersten. 3 
»Nun", fragte er, als ich eintrat, „haben sie den Spion?" 
„Ja wir haben ihn, doch der Trommler war nur eine Verkleidnna: es ist 
ein Mädchen." a> ' 
«Ein Mädchen?" rief er erstaunt. 
„Ja wohl! Hier ist sie!" 
In diesem Augenblicke schleppten meine Leute die Gefangene herein, die sich 
von den Wächtern losrieß und dem Oberst mit den Worten „Vater!" m den 
Fußen stürzte. 0 
»Jda! Meine Tochter!" rief er entsetzt aus . . . 
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0, "ar Mitternacht, als das Kriegsgericht seinen Spruch gefällt hatte. Der 
Oberst hatte der Verhandlung nicht beigewohnt und ich ward beauftragt, ihm das 
Urtheil zu kundigen. Ich fand ihn in seinem Zelte, wo er beim Schein einer 
Kerze in der Bibel las. 
Er erschien mir wie unnatürlich ruhig. 
„Nun?" fragte er, „hat man sie schuldig befunden?" 
"^an hatte sie schuldig befunden", sagte ich, „doch ein Urtheil wurde nicht 
9eJa^- Mau weiß, wie sehr Sie Ihre Tochter lieben, und darum blieb es Ihnen 
uberlassen, über ihr Schicksal zu bestimmen. Sie können sie zum Tode verurteilen, 
wü « a4$ frei ^ssen. Oberst, lassen Sie mich für Ihre Tochter bitten 
und schenken Sie Ihr das Leben." 
Er ging aufgeregt im Zelte auf und ab, und ich wartete ängstlich auf eine 
Antwort; endlich wandte er sich zu mir und sagte: „Bringen Sie sie her, und er¬ 
warten sie meine weiteren Befehle!" 
Ich gehorchte und kehrte einen Augenblick später mit dem schönen Mädchen 
zurück. Mit langsamen Schritten trat sie näher, bis sie vor ihrem Vater stand. 
Linen Augenblick sah er sie an, dann wandte er sich ab, um die Thränen zu ver« 
bergen, die ihm in die Augen traten und murmelte: „Ich muß stark sein, ich muß 
stark sein! Er wurde nun ruhiger, blickte ihr scharf ins Ange und sagte in voll¬ 
ständig leidenschaftslosem Tone: „Jda, Du warst das Licht meines Lebens, die 
Hoffnung meines Daseins, und ich dachte, Dich einst an der Seite eines würdigen 
Mannes zu sehen, doch das ist jetzt Alles vorbei. Du hast nicht allein Dein Land 
verrathen, sondern auch Deinen Vater." 
„Nein, nein/; rief sie in wildem Tone. „Dich, Vater, habe ich nicht verrathen. 
Du weißt, daß mein Großvater ein glühender Anhänger der Sache des Südens ist 
und ich ließ mich von seinen Worten bethören, eine Spionin zu werden. Es ist 
wahr, ich habe mir Eure Pläne angeeignet, und trug Botschaften an einen General 
der Konföderirten bei mir, doch ich wollte sie nur unter der Bedingung ausliefern 
das, was auch geschehen mochte, Dein Leben geschont werden sollte." 
„Was kümmert's Dich, was aus mir wird, versetzte er streng, „jetzt mußt 
Du Dein Verbrechen büßen, und zwar mit dem Tode." 
„Mit dem Tode!" tief sie und sank ohnmächtig zu Boden.
	        
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