Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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der Empfindung nicht erwehren, daß dieser Mensch ein Spion war und seine Kleider 
einem todten Soldaten angezogen hatte" 
Und wie alt war dieser Trommler?" 
„Noch sehr jung, er machte auf mich den Eindruck eines sechszehnjährigen 
Burschen." 
„Und wann ereignete sich der Vorfall?" 
„Gestern Morgen!" 
„Ich glaube, Ihr Verdacht ist gerechtfertigt und der Bursche ist jetzt schon 
auf dem Wege zum Heere der Rebellen." 
„Wenn es wirklich ein Spion war," sagte ich, „so kann er noch gefangen ge¬ 
nommen werden. Die Konföderirten stehen zwei Tagreisen entfernt. Der Bursche 
schleicht gewiß durch den Wald und der starke Regen hat die Wege fast unpassier¬ 
bar gemacht. Wenn ich ihn zu Pferde verfolge, so denke ich ihn noch einzuholen." 
Der Oberst war damit einverstanden und 15 Minuten später sprengte ich mit 
sechs Mann davon. Den ganzen Tag und die ganze Nacht ritten wir durch den 
Wald, und da wir gut beritten waren, so legten wir eine beträchtliche Strecke zurück. 
Gerade bei Tagesanbruch machte mich einer meiner Leute auf eine Person 
sah, war ich von 
der Aehnlichkeit 
mit dem Tromm¬ 
ler, den wir eben 
suchten, im höch¬ 
sten Grade be¬ 
troffen. Ja, ja, 
ein Irrthum war 
nicht möglich, das 
waren dieselben 
Züge, und das¬ 
selbe blonde schöne 
Haar. Mein Herz 
schlug hörbar bei 
dem Gedanken, 
daß der Trommler ein verkleidetes Mädchen gewesen war, daß sich als Spionin in 
unser Lager geschlichen hatte. 
Schnell stieg ich vom Pferde und neigte mich über sie. In Folge hochgradiger 
Ermattung war ihr Schlaf so tief, daß sie nicht erwachte. Ich zog ein Päckchen 
mit Briefen aus ihrer Tasche, die an einen General der Konförderirten gerichtet 
waren. Ich erbrach das Siegel und las den Inhalt. Es war eine genaue Be¬ 
schreibung unserer Streitkräfte, unserer Pläne und Aussichten. 
Ein Zweifel war nicht möglich, die schöne Schläferin war eine Spionin. 
„Leute," sagte ich und meine Stimme zitterte leicht, „thut eure Pflicht". 
Sofort traten zwei meiner Leute an sie heran und weckten sie. 
„Ich bin verloren!" rief sie verzeifelnd und sank zurück. 
„Bindet ihr die Hände," befahl ich, „und setzte sie auf ein Pferd!" 
„Wohin bringen sie mich," fragte sie ängstlich. 
„Zum Oberst Thornthon," erwiderte ich. 
„Nein, nein," bat sie mit todtblassem Gesicht, „bringen sie mich nicht zu ihm. 
Tödten Sie mich hier. Ich fürchte den Tod nicht und bitte nicht um mein Leben!" 
aufmerksam, tue 
vor einem Ge¬ 
büsche in tiefem 
Schlafe lag. Es 
war ein junges 
Mädchen, dessen 
Anzug von den 
Sträuchern durch 
die es sich hin¬ 
durchgezwängt,an 
einigen Stellen 
zerrissen war. 
Sie war sehr 
schön, und als ich 
ihr in's Gesicht
	        
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