Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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Als die kleine tapfere Schaar mit den gemachten Gefangenen in die Festung 
rückkehrte, wurde sie mit Triumph empfangen. Die Heldenthat des Corporal Scheich 
wurde bald allgemein bekannt und er von allen Seiten beglückwünscht. 
Auch Hauptmann Unukic, der im Spitale lag, hatte von dem Bravourstückchen 
seines Corporals Nachricht erhalten, und als dieser Unterofficier bald darauf seinen 
Hauptmann aufsuchte, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, da frug er ihn, 
woher er nur die Courage genommen habe, mit 20 Mann einem zehnfach über¬ 
legenen Gegner anzugreifen. Der Corporal antwortete: „Herr Hauptmann, melde 
gehorsamst, für meinen Kaiser thu' i Alles, denn i bin a 61er. 
Corporal Stephan Scheich erhielt für seine am 9. März 1849 vollführte That 
die goldene Tapferkeitsmedaille. 
Dis Spionin. 
Von Francis I. Palmer. 
Es war im Jahre 1862. Wir lagen vor Richmond und der General Mac 
Clellan wartete auf den Befehl, gegen die Conföderirten zu marschireu, doch dieser 
Befehl kam bisher noch immer nicht. 
Unser Oberst stammte aus dem Süden, hatte sich aber beim Ausbruch des 
Krieges, den Wünschen seiner Gattin und seiner Verwandten zum Trotz, der Sache 
des Nordens angeschlossen, doch sein Patriotismus hatte eine tiefe Kluft zwischen ihm 
und seiner Familie gerissen. Seine Frau und seine Tochter, ein junges Mädchen 
von etwa 16 Jahren, lebte bei seinem Schwager, welcher ein glühender Konförderirter 
war, während der Oberst sich den Unionisten zu Washington anschloß. 
So weit kannten wir seine Geschichte und er war wegen seiner Tapferkeit 
allgemein geachtet. 
Er liebte seine Gattin und sein Kind leidenschaftlich und die Trennung von 
ihnen war ihm hart genug angekommen. Trotzdem ließ er nie ein Wort über seine 
Lippen kommen, sondern verschloß seinen Schmerz in die Brust. 
Ich war damals Kapitän und kommandirte ein Detachement. Eines Tages ließ 
er mich in sein Zelt rufen und sagte zu mir: „Kapitän, ich habe eben von General 
Mae Clellan eine Mittheilung erhalten, daß der Feind von unserer Stärke geheime 
Nachrichten erhalten hat. Es müssen Spione im Lager sein und dem muß ein Ende 
gemacht werden. Meine Ehre steht auf dem Spiele, wenn meine Treue irgendwie 
verdächtig wird. Ich ersuche Sie daher, den Spion ausfindig zu machen und es 
soll ihm kein Pardon gewährt werden." 
„Oberst Thomthon," verfitzte ich, „ich habe bereits Verdacht." 
„So?" rief er erstaunt, „und aus wen?" „Vor einiger Zeit," fuhr er fort, 
„hatten wir in unseren Reihen einen Trommler, der uns neulich als Leiche ins 
Lager gebracht wurde. Die Leute hatten ihn auf dem Felde gefunden, sein Gesicht 
war von Kugeln bis zur Unkenntlichkeit entstellt und wir kannten ihn uur an den 
Kleidern, die er trug. Er wurde in ein Tuch gewickelt nnd begraben. Gerade als 
der Körper in die Grube versenkt wurde, fiel die. Mütze von feinem Kopfe und ich 
sah, daß das Haar schwarz war. Damals fiel es mir nicht auf, aber nachher fiel 
mir ein, daß unser Trommler blondes Haar gehabt hatte. Seitdem kann ich mich
	        
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