Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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«Heda! Warten Sie einmal," sagte Lieutenant Wagner. „Ich komme extra 
zurück, um Ihnen zu sagen, daß Sie sich mit dem Essen und Trinken in Acht 
nehmen sollen. Die Cholera ist in der Nachbarschaft. Essen Sie kein unreifes £>6ft, 
trinken Sie nicht zu viel Wasser, vor Allem kein unreines Wasser. Und wenn Ihnen 
etwas fehlt, wenn Sie Schmerzen im Leibe haben oder Uebelkeit, so wenden sie sich 
zum Garnisonslazareth oder schicken Sie irgend Jemanden zum Arzt. Haben Sie 
mich verstanden?" 
„Zu Befehl!" sagte Kapust, trotzdem er eigentlich nur einen Theil dieser Rede 
wirklich begriffen hatte. Dann ging er hinunter in den Hof, um die Reitstiefel des 
Lieutenants zu putzen. 
Pfui Teufel! Das Getränk, von dem Kapust ein Seidel voll genommen hatte, 
war eigentlich doch abscheulich. Der gute Nachgeschmack wollte und wollte nicht 
kommen. Die Sache war salzig und bitter und Kapust bekam Uebelkeiten. 
* * 
* 
Eine halbe Stunde später wurde der Lieutenant Wagner, der über einer schrift¬ 
lichen Arbeit saß, durch heftiges Klopfen an der Thür gestört. Auf sein „Herrein!" 
kam der Hauswirth und sagte: „Entschuldigen Sie, Herr Lieutenant, wenn ich Sie 
störe; aber ihr Bursche ist erkrankt. Er liegt unten im Pferdestall und wimmert und 
stöhnt, daß es einen Stein erbarmen könnte. Es ist ihm furchtbar übel; er übergibt 
sich fortwährend, scheint auch Diarrhöhe zu haben und ich glaube fest, er hat die 
Cholera." 
Lieutenant Wagner erschrak und eilte hinunter nach dem Stalle. Dort lag in 
der That Kapust mit fchmerzverzerrtem Gesichte. Er klagte über Schmerzen im Leibe 
und die bekannten Symptome der Cholera zeigten sich so deutlich bei ihm, daß der 
Lieutenant selbst wie ein Rasender fortstürzte, nach dem Garnifonslazarethe lief und 
die Fortschaffung seines Burschen verlangte. 
Eine halbe Stunde später trug man aus dem Hause, in dem der Lieutenant 
Wagner wohnte, eine Krankenbahre, aus derem Innern ein gräßliches Stöhnen 
drang. Wieder eine halbe Stunde später rückte, von den städtischen Behörden ent¬ 
sandt, eine Sanitätsabtheilung in das Haus, die mit einem waren Feuereifer den 
Stall und den ganzen Hof zu desinsisciereu begann. Die Mannschaften, die in 
wohlweiser Fürsorge schon organisiert waren, bevor sich der erste Fall der Cholera 
an Kapust zeigte, gingen mit solchem Eifer zu Werke, daß sie am liebsten das ganze 
Gehöft in Brand.gesteckt hätten, nur um den letzten Cholerabazillus auszurotten. 
Im Lazareth langte Kapust in einem höchst traurigen Zustande an. Uebel¬ 
keiten und Schmerzen hatten ihn fürchterlich erschreckt. Er glaubte selbst, daß er die 
Cholera habe und um fein bischen Leben hatte er denn doch höllische Angst. Furcht 
vor Krankheit erzeugt aber bekanntlich stets eine Verschlimmerung des krankhaften 
Zustandes, und so war es denn ein wirklicher Patient, der in Kapusts Jammer¬ 
gestalt im Garnisonslazareth eintraf. 
Hier waren der Oberstabsarzt, der Stabsarzt und sämmtliche Aerzte ver¬ 
sammelt und sofort begann man mit dem unglücklichen Kapust in einer Weife zu 
experimentieren, daß dem armen Kerl Hören und Sehen verging. Es war ja gewiß 
unrecht, daß er aus der Bitterwasserflasche des Lieutenants einen so kräftigen Schluck 
genommen hatte; aber war er nicht genügend dadurch bestraft, daß er ein so kolossales 
körperliches Mißbehagen empfand? Mußte man ihn auch noch martern? 
Kapust hatte sich das Sterben wirklich leichter gedacht. Erst wurde er in ein 
warmes Bad gesteckt, an und für sich schon der Inbegriff aller Schrecken für Kapust;
	        
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