Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1899 (1899)

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nur Wenige mehr fielen der Epidemie zum Opfer; die 
Gefahr war von der Stadt gebannt, und bald konnte man 
wieder in Prozession auf den Berg wallen, biesesmal um 
Gott zu danken für feine Allgütigkeit, und in Erfüllung des 
gemachten Gelübdes den Grundstein zur jetzigen Kirche zu legen. 
Das war damals, heute ist man nicht fo beschränkt; 
heute weiß man, daß die Religion doch nur für die Dummen 
da ist und überhaupt nur die Bestimmung hat, die großen 
Massen in Zaum zu'halten. Kirchen sind daher eine lästige 
Sache; man weicht ihnen aus; am besten wär's, es gebe keine. 
Darum soll auch der Jux heute der lästigen Kirche da oben 
gelten. Um Mitternacht beginnt die Mette, die von den auf¬ 
geklärten Bewohnern der Stadt nicht besucht wird; aber die 
Bauern kommen von weit und breit zu dieser kirchlichen 
Feier, und sich mit solchen dummen Bauern einen Jux zu 
machen, bildet ein Vorrecht gebildeter Städter. 
Die bereits erwähnte Lederfabrik liegt an der Peripherie 
der Stadt und fast am Fuße des Josefiberges. Eicht konnte 
tzaher ungesehen und unerkannt, hinauf zur Kirche gelangen- 
In diese'stürmte er nun — der Verabredung gemäß — 
hinein, mit einem Geheul, das schon eher dem eines Wahn¬ 
sinnigen glich, und mit der mitgebrachten Kette rasselnd. 
Alles wich entsetzt diesem Ungeheuer aus; die Männer sind 
starr vor Schrecken, die Weiber kreischen, die Kinder schreien, 
aber Jedes sucht aus der Nähe des Unholdes zu kommen 
— so bildet sich eine Gasse, durch die Michl vorwärts rast, 
bis säst in die Nähe des Hochaltars. Dort staut sich aber 
die Menge; ein Mädchen wird ohnmächtig und fällt Mtchl 
in die Arme. Dies bringt ihn einen Moment zur Besinnung, 
er fühlt, daß er jetzt umkehren müsse, soll er nicht von den 
Besonneneren abgefaßt werden, denn noch hat sich die Gasse, 
die sich vor ihm gebildet hat, hinter ihm nicht geschlossen^ 
frei ist die Pforte vor ihm, so packt er das ohnmächtige 
Mädchen mit kräftigen Armen und stürmt damit in die 
dunkle Nacht hinaus, die Sichtung vor der Kirche hinunter, 
dem Waldsaume zu. Hier bettet er das Mädchen im Schnee 
unb entlebigt sich bet Ochsenhaut, um wieder frei athmen 
zu können. Alsbalb merkte er, baß bie fromme Beterin 
regungslos bleibt; sie ist tobt — vor Schreck gestorben, 
als sie in Erfüllung einer Christenpflicht sich im Gebete mit 
ihrem Gotte vereinigte. 
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