Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1895 (1895)

streckten sie ihre Arme aus und riefen um Hilfe; aber die 
Städter, obschon sie die Köpfe undeutlich wahrnahmen, hörten 
keinen 9tuf. Als die Dämmerung ganz dem Dunkel gewichen 
nnd der Vollmond aufgegangen war, begannen die Kleinen 
zu frieren. Da nahm Hely ihre Schürze und schlang sie um 
das Krnd, indem sie zärtlich sagte: „Das ist alles, was die 
Schwester hat, um Dich warm zu halten, armer Johanni, 
aber sie will Dich in ihre Arme nehmen und wir wollen 
beten und Du sollst dann schlafen." So hoben die beiden 
kindlichen Wanderer ihre gefalteten Händchen empor und 
beteten das kleine fromme Gebet: Ich will heute schleifen gehen. 
Vierzehn Englein um mich stehen u. s w. 
„Der liebe Gott kann das recht gut hören, denn wir 
sind ja ganz nahe bei ihm", sagte der unschuldige Johann. 
Bald schlief das jüngere Kind, aus dem Boden der Gondel 
sitzend und den Kopf in den Schoß seiner Schwester gelegt, 
so gesund, als schliefe es zu Hause in seinem Bettchen, während 
das ältere die langen, langen Stunden durchwachte, indessen 
der Ballon in der stillen Nachtluft langsam dahinschwebte, 
bis er im frischen Morgenwinde zn schaukeln uud zu wiegen 
begann. Als sich der Morgen zeigte, leitete endlich ein glück¬ 
licher Zufall die tastende Hand des Mädchens zu einer Schnur, 
welche mit der Klappe des Ballons in Verbindung stand. 
Ein gewisses Gefühl sagte ihr, sie solle daran ziehen. Sang« 
saut und sanft, als ob er von vorsichtigen Händen niederge¬ 
lassen würde, oder als ob ihn irgend ein himmlischer Steuer¬ 
mann durch die wilden Lnslströmungen führte, ihn weder in 
den See, noch in den hohen Wald, noch in den unergründ¬ 
lichen Sumpf fallen lassend, sank der Ballon zur Erde nieder. 
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber das Zwie¬ 
licht war da, als das kleine Mädchen, übet den Rand der 
Gondel blickend, die alte theure Erde näher kommen, zu ihnen 
hinaufsteigen sah, wie es sagte. Aber als die Gondel festsaß, 
war es zu seiner größten Enttäuschung nicht auf dem Boden, 
sondern in den obersten Aesteu eines Baumes. Aber es sah, 
daß sie sich in der Nähe eines Hauses befanden und bald 
Hilfe kommen könnte. Deshalb weckte es seinen Bruder und 
sagte ihm die gute Neuigkeit. Beide wachten dann und war¬ 
teten auf ihre Befreiung, einander vor Freude uud der Wärme 
wegen umarmend, denn es fror sie bitter.
	        
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