Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1895 (1895)

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„Nun, ich habe von Ihnen gehört als von einer gottes- 
fürchtigen Frau, die ihre Kinder brav und fromm aufzieht 
und selbst rechtschaffen vor Gott zu wandeln trachtet." 
„Barmherziger Gott!" brach sie aus, sank auf einen 
Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, während 
sie krampfhaft schluchzte 
Ich suchte sie zu beruhigen, und theilte ihr mit wenigen 
Worten mit, wie ich von ihrer oebrängten Sage gehört unb 
seit letzter Nacht ihrer Familie mit vielen Sorgen gebacht, 
bis mir eingefallen fei, baß ich ihr ganz leicht selber und 
sogleich helfen könne. 
„O. da haben Sie für mich gesorgt und gebetet, als ich 
draußen stand und an Gott und den Menschen verzweifeln 
wollte!" Bei diesen Worten schauerte sie zusammen wie von 
Fieberfrost geschüttelt. 
Eine grausige Ahnung stieg in mir auf; doch strengte 
ich mich an, meine Ruhe im Gespräch zu bewahren. Ich 
fragte: „Waren Sie gestern spät Abends hier in der Nähe?“ 
Sie nickte. 
„Am Wasser!" 
Ein zweites Kopfnicken. 
„Ich denke, ich habe Ihre und eine Kinderstimme gehört. 
Hatten Sie Kinder bei sich?" 
„Zwei! flüsterte sie und sank händeringend aus die Knie. 
Ich brauche, was nun vorging, nicht weiter zu beschreiben. 
Der Leser wird ahnen, daß ich ein schreckliches Bekenntniß 
zu hören hatte Die unglückliche Frau hatte in ihrer Ver¬ 
zweiflung mit ihrem Säugling auf dem Arm und dem ältesten 
Töchterchen, ihrem Liebling, den Weg zum Weiher angetreten, 
wo vorher schon mancher des zeitlichen Jammers Ende gesucht 
und des ewigen Bet derben» Anfang gefunden hatte Unterwegs 
fragte das Mädchen sie: „Mutter, wenn wir todt sind, werden 
Vater und Geschwister dann satt zu essen haben?" Dann, 
als sie am Wasser stehen und das kleine Brüderchen vor 
Kälte zu wimmern beginnt, und die Mutter ihren Liebling 
noch einmal an's Herz drücken will, ehe sie sich zum letzten 
Schritte anschickte, fragte die Kleine: „Mutter, darf ich nicht 
erst beten, ehe ich sterbe?" Die Mutter nickte stumm, unb 
das Kind betet:
	        
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