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„Nun, ich habe von Ihnen gehört als von einer gottes-
fürchtigen Frau, die ihre Kinder brav und fromm aufzieht
und selbst rechtschaffen vor Gott zu wandeln trachtet."
„Barmherziger Gott!" brach sie aus, sank auf einen
Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, während
sie krampfhaft schluchzte
Ich suchte sie zu beruhigen, und theilte ihr mit wenigen
Worten mit, wie ich von ihrer oebrängten Sage gehört unb
seit letzter Nacht ihrer Familie mit vielen Sorgen gebacht,
bis mir eingefallen fei, baß ich ihr ganz leicht selber und
sogleich helfen könne.
„O. da haben Sie für mich gesorgt und gebetet, als ich
draußen stand und an Gott und den Menschen verzweifeln
wollte!" Bei diesen Worten schauerte sie zusammen wie von
Fieberfrost geschüttelt.
Eine grausige Ahnung stieg in mir auf; doch strengte
ich mich an, meine Ruhe im Gespräch zu bewahren. Ich
fragte: „Waren Sie gestern spät Abends hier in der Nähe?“
Sie nickte.
„Am Wasser!"
Ein zweites Kopfnicken.
„Ich denke, ich habe Ihre und eine Kinderstimme gehört.
Hatten Sie Kinder bei sich?"
„Zwei! flüsterte sie und sank händeringend aus die Knie.
Ich brauche, was nun vorging, nicht weiter zu beschreiben.
Der Leser wird ahnen, daß ich ein schreckliches Bekenntniß
zu hören hatte Die unglückliche Frau hatte in ihrer Ver¬
zweiflung mit ihrem Säugling auf dem Arm und dem ältesten
Töchterchen, ihrem Liebling, den Weg zum Weiher angetreten,
wo vorher schon mancher des zeitlichen Jammers Ende gesucht
und des ewigen Bet derben» Anfang gefunden hatte Unterwegs
fragte das Mädchen sie: „Mutter, wenn wir todt sind, werden
Vater und Geschwister dann satt zu essen haben?" Dann,
als sie am Wasser stehen und das kleine Brüderchen vor
Kälte zu wimmern beginnt, und die Mutter ihren Liebling
noch einmal an's Herz drücken will, ehe sie sich zum letzten
Schritte anschickte, fragte die Kleine: „Mutter, darf ich nicht
erst beten, ehe ich sterbe?" Die Mutter nickte stumm, unb
das Kind betet: