Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1895 (1895)

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weil er sich den theilrveisen Verlust seiner Erwerbsthätigkeit 
zu Herzen nimmt. Ich thue für ihn, so viel ich kann, ohne 
gegen seine Mitarbeiter unbillig zu werden; aber dies hat 
natürlich seine Grenzen, und leider geht's schnell bergab 
mit ihm". 
Mir blutete das Herz bei diesen Mittheilungen. Ich 
hatte das Gefühl, daß hier eine im Grunde tüchtige Familie 
dem Verderben entgegentrieb, entweder weil die Mutter des 
Hauses ein zartes Gewissen und ein allzu empfindliches Ehr¬ 
gefühl hatte, oder weil die Umgebung, in der sie leben mußte, 
zu gemein für sie und die Heimsuchungen, die über sie kamen, 
fast allzu schwer waren. 
Indessen war es später Abend geworden. So gingen 
wir auseinander, ein Jeder mit seinen eigenen Gedanken über 
das' Besprochene. Als ich vor meiner Hausthür stand, halb 
m Gedanken versunken, halb mit dem Ausschließen beschäftigt, 
strich der kalte Nordwind mit dumpfen Geheut über den nahen 
Wald her; ich hörte das Plätschern der kalten Wellen am 
Ufersteg und das Rauschen des dürren Rohres. Dazwischen 
drangen Töne an mein Ohr, wie das Wimmern einer Kinder¬ 
stimme und halblautes Gespräch. Ich tauschte. Alles still! 
Am Ende überredete ich mich, meine aufgeregte Phantasie 
habe mir bange Töne und schreckliche Bilder vor die Seele 
geführt, und so ging ich zuletzt in mein. Hans und nichte 
mein Schlafzimmer auf. 
Es dauerte lange, bis ich die Ruhe fand, und mein 
letzter Gedanke vor dem Einschlafen und mein erster beim 
SÄ ®ar der schwermüthige, kranke Mann, das Häuflein 
hilfloser Kinder, die stolze Mutter mit dem ungebeugten Sinne 
und mit dem gebrochenen Herzen. Und was ich für sie auf 
Dem Herzen hatte, das drängte sich immer wieder in den 
einen Seufzer zusammen: „Herr, führe sie nicht in Versuchung!“ 
., äm andern Morgen, ehe ich zur Schule gieng, sandte 
ich Botschaft nach dem Zellerfchen Hause und li'eß die Frau 
mtten, um die Mittagsstunde zu mir zu kommen. Als ich 
hetm kam, fand ich sie bereits an meiner Thüre. Ich sah 
ste zum ersten Male, und obwohl sich nicht basennen lieft, 
Daß ui ihrer Haltung und ihren Gesichtszügen etwas Nobles 
doch fast erschrocken über den Ausdruck, den 
ihr Gesicht augenblicklich annahm Ihre Züge hatten etwas
	        
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