Volltext: 86. Heft 1914/16 (86. Heft 1914/16)

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Am Ende des Jahres 1915 waren die Russen durch 
die herangeführten Verstärkungen in der Lage, eine 
Offensive ' über die Grenze des Kaukasusgebietes zu 
versuchen, — zu einer Zeit, in der die Türken durch die 
auf weit voneinander entfernten Kriegsschauplätzen an 
sie herantretenden Anforderungen genötigt waren, mit 
ihren Kräften hauszuhalten und nicht Anstrengungen 
auf Ziele zu verwenden, die erst in zweiter Linie in 
Frage kommen konnten. Die Russen sahen sich, wie es 
später in einem türkischen Bericht hieß, „in die Not- 
wendigkeit versetzt, ihrem Lande und den Alliierten, 
die nach dem einzigen Worte ,Sieg' — unter welcher 
Form immer — dürsten, glänzende Bulletins mitzuteilen." 
So wurde am 27. Dezember der Vormarsch gegen 
Erzerum angetreten, das plötzlich für einen mit starken 
modernen Befestigungen versehenen Platz erklärt wurde. 
Es war auch wohl-nötig, die Schwierigkeiten des 
in Angriff genommenen Vorgehens recht stark zu unter- 
Erzerum schützten und trotz ihrer mangelhaften Geschütz- 
ausstattung die an Zahl überlegenen Angreifer einen 
vollen Monat aufhielten. Daß dies überhaupt möglich 
war, ist, abgesehen von der Pflichttreue und dem Helden- 
mut der Truppen, denen diese Stellungen anvertraut 
waren, weniger der Stärke der Befestigungen als der 
günstigen Gestaltung des Geländes in der Umgebung 
von Erzerum zu verdanken. 
Nachdem aber einmal der Angriff der Russen so 
ernstlich angesetzt worden war, daß ein dauernder Erfolg 
der türkischen Verteidigung unwahrscheinlich wurde, eut- 
schlössen sich die Türken, Erzerum zu räumen. Es wurdeu 
sorgfältige Vorbereitungen getroffen, um das brauchbare 
Kriegsmaterial aus der Stadt zu schaffen, alles minder- 
wertige und den Transport nicht lohnende — darunter 
auch die veralteten Geschütze und die nicht transport- 
fähigen Kanonen aus den Anßenverschonzungen un- 
brauchbar zu machen. Nachdem am 14. Februar die 
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Anficht von Erzerum. 
Phot. Leipziger Presse-Büro. 
streichen. Denn die russischen Streitkräfte brauchten 
trotz der Überlegenheit und ihrer besseren Verbindungen 
acht Tage unter schweren Gefechten, um nur zunächst 
den Rückzug der Türken aus dem Gebiet des oberen 
Aras zu erreichen. Mit unvergleichlichem Heldenmut 
kämpften die türkischen Truppen in tiefem Schnee und 
bei grimmiger Kälte Mann gegen Mann gegen eine 
Überzahl. In vier Stellungen hintereinander hielten 
sie stand und fügten den Russen schwere Verluste zu. 
Drängten die Feinde zu sehr, so wichen sie in regelrechtem 
Rückzüge in die nächste Stellung zurück, um die Russen 
aufs neue anlaufen zu lassen. Gegen Mitte Januar 
kam der Vormarsch der Russen zum Stillstand, und erst 
Ende; des Monats unternahmen sie es, die türkische 
Stellung bei Erzerum wirklich anzugreifen. Dazwischen 
lagen allerdings die neuen Mißerfolge in Ostgalizien, 
die den Wunsch, irgendwo wenigstens etwas wie einen 
Erfolg aufzuweisen, erheblich gesteigert hatten. Es ist 
sehr charakteristisch, wie die russischen Berichte von jetzt 
an bestrebt sind, das ganze Unternehmen gegen Erzerum 
in einem besonders großartigen Lichte erscheinen zu 
lassen. Und doch kam Mitte Februar heran, ehe die Ein- 
nähme eines „Forts" gemeldet werden konnte. Dieses 
Fort war eine der Feldbefestigungen, die die Stadt 
türkische Hauptmacht den Rückzug auf Ersiugjan angetreten 
und die zurückgelassenen Nachhuten noch am 15. rühm- 
liche Gefechte gegen die Russen bestanden hatten, wurden 
am Abend dieses Tages die Stellungen vollends geräumt, 
worauf am 16. die Russen ihren Einzug hielten und ihre 
Siegesnachrichten in die Welt hinausflattern ließen. 
Erzerum gefallen! Es ließ sich nicht leugnen, daß 
die in weiten Kreisen herrschende Unbekanntschaft mit 
diesem entlegenen Kriegsschauplatz dafür sorgte, daß 
mit dieser Nachricht überall ein gewisser Eindruck erzielt 
wurde. Die russischen Meldungen bauschten die Berichte 
über die Kämpfe mit der türkischen Nachhut entsprechend 
auf, so daß es aussah, als ob die nacheinander ruhig und 
systematisch geräumten Befestigungen von den Russen 
in zähem Kampfe erstürmt worden seien. Besonders 
ausgebeutet wurde in den russischen Berichten das 
Zurücklassen der alten Geschütze durch die Türken. Dieser 
Umstand mußte den Anschein unterstützen helfen, als ob 
Erzerum erst nach gewaltigem Widerstand gefallen sei, 
wofür die große Zahl der erbeuteten Geschütze Zeugnis 
ablegen mußte. In die russischen Siegesfanfaren 
stimmten mit harmonischem Klang die Erläuterungen der 
englischen Presse ein. Hiernach war Erzerum der Schlüssel 
Kleinasiens; der Eindruck in der mohammedanischen
	        
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