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Trotzdem die Österreicher auf dem rechten Flügel
der ungeheuren Front Erfolg hatten, war es notwendig
geworden, vor dem Auftreten neuer, an Zahl weit
überlegener russischer Streitkräfte die gesamte Schlacht¬
linie von der Weichsel zurückzunehmen und nahe der
Grenze neu zu formieren. Kenner wußten, wie richtig
das strategische Genie urteilte, als es aus der Lage der
Dinge diesen Entschluß ableitete. Die Russen, die ge¬
glaubt hatten, uns mit ihrer Übermacht zu fassen und
niederzutreten, fanden plötzlich vor ihrer Front keinen
Feind mehr vor. Wollten sie ihn aufs neue stellen, so
mußten sie den Schutz ihrer Festungen verlassen, die
Weichsel überschreiten, sich aus dem Bereich ihrer Bahn¬
verbindungen begeben und ein Gebiet betreten, das, an
sich unwegsam genug, von den zurückziehenden Ver¬
bündeten noch nach Möglichkeit gesperrt worden war.
Während unsere Truppen sich auf den neuen Schlag vor¬
bereiteten, folgten die Russen langsam nach.
Unerwartet traf sie am 13. November Hindenburgs
Angriff. Der Stoß ging in die rechte Flanke der Russen,
indem deutsche Kräfte, zu beiden Seiten der Weichsel vor¬
dringend, auf ihrem rechten Ufer bei Lipno, auf dem linken
bei Wloclawek (Wlozlawsk) den Feind warfen. Der
Anprall war so heftig, daß die Russen, von ihrer natür¬
lichen Rückzugslinie auf Warschau abgedrängt, auf Kutno
und weit darüber hinaus nach Süden getrieben wurden.
Wieder, wie schon bei früheren Siegen im Osten, ist die
Zahl der Gefangenen unverhältnismäßig groß: fast
30 000 Mann ergaben sich.
Man sieht auf unserem Bilde, wie einer dieser Züge
rückwärts transportiert wird, während unsere Truppen
vorwärts dringen: ein buntes Gemisch von Völkern, da
sibirische und turkistanische Soldaten von mongolischem
Aussehen die Reihen unserer Gegner verstärken helfen.
Ein Wort Napoleons I. lautet: Es genügt nicht, den
Russen totzuschlagen, man muß ihn auch noch umwerfen.
Totgeschlagen hat Hindenburg ihn nun schon so oft, daß
es nicht mehr lange dauern kann, bis er am Boden liegt.
Zn Feindesnähe.
(Aus.einem Feldpostbrief.)
Heute erhielt ich den Brief vorn 12. X. nebst diesen
Briefbogen. Der hat sich ja schön verspätet, ebenso wie
das darin angezeigte Paket, das sich noch nicht in meinem
Besitz befindet. Bei den Klängen von „Puppchen" usw.,
gespielt von drei Harmonikas, die uns unser Hauptmann
spendiert hat, will ich versuchen, Euch über meine kümmer¬
lichen Erlebnisse etwas mitzuteilen. Vieles ist von mili¬
tärischer Seite nicht zu melden. Jeder ist in seiner alten
Stellung und zufrieden, wenn ihn der andere zufrieden
läßt. Gestern herrschte ein furchtbarer Geschützkampf,
durch das sehr klare Wetter begünstigt. Man konnte
mit bloßem Auge die einzelnen Forts von Verdun, welche
sich uugefähr 20 Kilometer von hier befinden, deutlich
sehen, mit dem Scherenfernrohr sogar die im Winde
flatternden Trikoloren. In den Schützengräben ist, von
der üblichen Knallerei abgesehen, alles beim alten. Nach¬
dem einige Tage diesiges Wetter herrschte, ist heute
blendender Sonnenschein und direkt sommerliche Wärme.
Ich benutzte den dienstfreien Sonntag, um dem freundlichen
Feldwebel Hauff in der Mühle, % Stunde von hier,
einen Besuch abzustatten. Er ließ zwei Pferde satteln,
und im Trab ging's durch die wundervolle Gegend.
Es war wirklich ein Genuß. Der Tag ist so richtig zum
Faulenzen geeignet. Am Nachmittag ist Appell in
Sachen und Gewehr. Dann werden wir wieder, mit
meinem Fernglas bewaffnet und der Knarre über der
Schulter, einen Streifzug durch Gottes großen Garten
machen, denn ich glaube, man muß die freie Zeit so viel
wie möglich auskosten, außerdem macht es Vergnügen,
so ungebunden herumzustolpern. Mit den Weintrauben
ist es auch beinahe vorbei, man kommt ja aber auch so
aus. Gestern kam unser Freßwagen aus Metz mit Wurst,
Butter, Schmalz, Marmelade, Schokolade usw. Ferner
gaben uns die Offiziere ein Faß Bier, pro Mann einen
halben Liter. Ihr seht also, daß wir auch noch zu leben
wissen. Inzwischen werdet Ihr ja meinen Brief mit den
Bildern erhalten haben; wenn ich noch welche bekomme,
werde ich sie gleichfalls schicken. Wie ich Euch schon mit¬
geteilt habe, ist unsere Arbeit vor der Schützenlinie gänz¬
lich erledigt, und wir werden wohl erst wieder in der Front
zu arbeiten haben, wenn es heißt vorwärts.
Na hoffentlich dauert es nicht mehr lange, sondern
diese Zeit kommt für uns recht bald. Zu arbeiten
haben wir freilich genug, aber immer dasselbe; immer
bombensichere Pferdeställe zu bauen, wirkt auf die Dauer
doch langweilig. Die einzige Abwechselung bringen ent¬
weder die Franzosen mit ihren eisernen Liebesgaben oder
die Flieger. Hinter uns, 200 bis 300 Meter weit, steht einer
unserer Fesselballons. Die Franzosen geben sich ja red¬
liche Mühe, ihn mit Schrapnells zuzudecken, schießen
aber regelmäßig viel zu kurz, so daß uns immer der ganze
Salat um die Ohren pfeift. Sowie die Bummerei an¬
fängt, verziehen wir uns in die fertigen Ställe, freuen
uns über das nette Schauspiel und ärgern uns, wenn sie
wieder aufhören zu schießen, denn dann wird mit Hacke
und Spaten weiter gearbeitet. Genau dasselbe ist es,
wenn in der Ferne ein Flieger auftaucht. Unser Posten
schreit„Flieger!",der Feldwebel brüllt „Deckung!", und im
Umsehen sind wir alle verschwunden. In völliger Sicher¬
heit können wir dann immer den Kampf zwischen
Ballon, Flieger und Schrapnells beobachten. Der Ballon
wird mit affenartiger Geschwindigkeit nach unten ge¬
zogen, der Flieger legt Eier, die ebensowenig ihr Ziel
erreichen wie unsere Schrapnells. Aber jedenfalls kann
man da stundenlang zusehen, ohne von Langeweile ge¬
plagt zu werden. Dieses Theater wiederholt sich so Tag
für Tag und fast immer mit demselben Erfolg, nur selten
kommt mal so'tt großer Vogel heruntergesaust, immer mit
stürmischem Geschrei und Freudengeheul unsererseits
begrüßt. — Hoffentlich habt Ihr jetzt meinen Aufenthalts¬
ort gefunden. Von Frl. Engel bekam ich letzthin noch
Pulswärmer geschickt, ich glaube, ich kann bald den
sibirischen Feldzug mitmachen. Für unsere Division
liegen schon einige hundert große Pakete in Metz, so daß
sie in 3 bis 4 Tagen hier sein werden, vielleicht ist für mich
auch eins dabei, dann soll es aber Fettlebe geben. Heute
zum Abendbrot machen wir uns Setzei mit Bratkartoffeln
und Kakao, dann können wir's wieder einige Tage aus¬
halten. Das Ei kostet allerdings 15 Pfg., aber wir habend
ja. Wenn Ihr wieder nach dem Klub kommt, grüßt bitte
alle, ebenso Paulchen, Marie und das Kleine und nicht
zuletzt den kleinen Affen und seid alle selbst vielmals ge¬
grüßt von
Eurem Richard.
Gegen Abend machen Hauff und ich eine kleine
Motorradpartie, er hat noch ein zweites aufgetrieben.
Dann komme ich wenigstens nicht aus der Übung und
kann es noch, wenn ich nach Hause komme.
Herzliche Grüße an Ilse und Lutz.