Volltext: 58. Heft 1914/15 (58. Heft 1914/15)

an die Gräben der Feinde heran, die es völlig zu über¬ 
raschen gelang. Nach der Schilderung von Augenzeugen 
war der sich in den serbischen Gräben entspinnende Nah¬ 
kampf ein entsetzlicher. Bajonett, Messer und die bloße 
Faust waren die einzigen Waffen, und in diesem wütenden 
Ringen von Mann gegen Mann sprangen schließlich die 
Serben ihren Gegnern gleich wilden Tieren an die 
Gurgel, um nach Sitte der Urzeitmenschheit den Kampf 
mit den Zähnen auszufechten. Natürlich vermochte auch 
diese barbarische Kampfesweise den Sieg der Bulgaren 
nicht aufzuhalten. H. 
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Sumpfgefechte. 
Wie die Russen in denTagen des napoleonischen Feld¬ 
zugs auf den russischen Winter als den Retter in der Not 
zählten, haben sie uns gegenüber in diesem Weltkriege 
in dem schier unglaublichen Straßen- und Wegeelend 
sich einen wertvollen Bundesgenossen erhofft. Aber 
stimmte auch bezüglich des bunt zusammengewürfelten 
französischen Heeres 1812 die Rechnung: angesichts der 
straffen Organisation und der unwiderstehlichen mora¬ 
lischen Stoßkraft des deutschen und österreichisch-ungari¬ 
schen Heeres der Jahre 1914/15 erwies sie sich trüglich. 
Die abgrundlosen Wege der russischen Grenzländer, die 
Moräste und Sümpfe haben den Siegeslauf der Ver¬ 
bündeten nur wenig zu hemmen vermocht. Diese Tat¬ 
sache ist um so bewunderungswürdiger, als das Vor¬ 
dringen zumal im Gebiet der Rokitnosümpfe und des 
Poljessje an die Truppen ganz unerhörte Anforderungen 
stellte. In diesem höchst ungesunden, waldigen Sumpf¬ 
gebiet, das rund 87 000 Quadratkilometer umfaßt, und 
das durch das mangelnde Gefälle der Prypetzuflüsse 
bedingt wird, deren südliche Adern viel eher auftauen als 
die nördlichen und so das ganze Terrain gleichsam ständig 
in Überschwemmung erhalten, ist ein Vorrücken nur auf 
schmalen Sumpfpfaden möglich. Man kann sich danach 
vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten ein geschlossenes 
Vordringen von Schwadronen und Batterien zu kämpfen 
hat. Die russische Reiterei, Kosaken und Tscherkessen, 
ist der unsern zudem nicht nur infolge genauer Weg¬ 
kenntnis, sondern auch der leichten, unermüdlichen Pferde 
halber nicht unbeträchtlich im Vorteil. Anfänglich gelang 
es kleineren russischen Reiterabteilungen immer wieder, 
die dünne, auseinandergezogene Kette unsrer Kavallerie 
zu durchbrechen und dann im Rücken, hinter der Front, 
zu sengen und zu morden. Seitdem sich aber die Kette 
enger schlang und zum Gürtel straffte, ist solch Durch¬ 
brechen der Front nicht mehr möglich. In ermüdendem 
Kleinkampf, in förmlichen Treibjagden werden die russi¬ 
schen Abteilungen aus den schützenden Gehölzen ge¬ 
worfen und vertrieben, wobei sie sich nach den vorliegen¬ 
den Berichten mit wahrem Todesmute wehren. Noch 
immer aber erscheinen die Kosaken auf ihren flinken 
Pferden, von den Bauern der Gegend genau unterrichtet, 
ganz unerwartet, gelegentlich hier und da. So überfiel 
kürzlich eine Schar von zweihundert Kosaken eine vor¬ 
rückende Batterie der Unsern. So nahe gelang es den 
überraschend Überfallenden an die Geschütze heranzu¬ 
kommen, daß die Artillerieoffiziere von ihren Revolvern 
und Säbeln Gebrauch machen mußten. Schon schien 
die Batterie verloren, als, durch die Schüsse aufmerksam 
gemacht, im letzten Augenblick eine Husarenabteilung den 
Artilleristen zu Hilfe kam. Die Kosaken wurden umzingelt, 
wehrten sich aber so verzweifelt, daß sie Mann für Mann 
niedergemacht werden mußten. A. 
Die Schlacht von Wilna. 
Wilna, einst die Hauptstadt des Großfürstentums 
Litauen, jetzt des nach ihr benannten russischen Gouverne¬ 
ments und gleichzeitig eines Generalgouvernements, zu 
dem noch die Gouvernements Kowno und Grodno ge¬ 
hören, liegt am Zusammenflüsse der Wileika und Wilija 
(Wilia), dem bedeutendsten von Osten kommenden 
Nebenflüsse des Njemen, in den diese für Flößholz und 
Kahnschiffahrt brauchbare Wasserstraße bei Kowno 
mündet. Die von bewaldeten, bis zu 250 Meter an¬ 
steigenden Höhen umgebene Stadt besaß im Frieden 
keine Befestigungen, die noch vorhandene alte Zitadelle 
auf dem rechten Ufer der Wilija ist ohne militärischen 
Wert. Weder Handel noch Industrie geben dem mit den 
Vorstädten Antokol und Rudaischa gegen 200 000 Ein¬ 
wohner zählenden Orte eine besondere Bedeutung, 
wohl aber seine Eigenschaft als Eisenbahnknotenpunkt; 
die wichtigsten Bahnen des westlichen Rußlands kreuzen 
sich hier. Bei Landwarowo, 16 Kilometer westlich von 
Wilna, vereinigen sich die beiden zweigleisigen von 
Königsberg über Eydtkuhnen—Kowno und von Wien 
über Warschau (seit dem 5. August in der Hand der 
Verbündeten) —Bialystok—Grodno führenden Bahnlinien, 
die sich von Wilna in gerader Linie über Dünaburg 
nach Petersburg fortsetzen. Außerdem gehen von Wilna 
zwei eingleisige Bahnen aus, nämlich in ungefähr süd¬ 
licher Richtung über Lida-Baranowitschi nach Rowno 
in Wolhynien und in südöstlicher Richtung, 10 Kilometer 
östlich der Stadt bei Wileika von der Petersburger Bahn 
sich abzweigend, eine Linie über Molodeczno—Minsk— 
Gomel nach Poltawa in der Ukraine. Der Besitz Wilnas 
bedeutet demnach die Herrschaft über die wichtigsten west- 
russischenMerbindungen zwischen dem Süden und Norden. 
Es leuchtet ein, wieviel den Russen darum zu tun sein 
mußte, sie zu bewahren, und den Verbündeten, sie zu 
unterbrechen und damit gleichzeitig den Ausgangspunkt 
der beiden bedeutendsten nach Preußen und nach Österreich 
hineinführenden Bahnlinien in die Hand zu bekommen. 
Die vornehmlichste Sicherung Wilnas lag in 
der westlich vorgelagerten befestigten Linie des mitt¬ 
leren Njemen mit den Festungen Kowno, Olita und 
Grodno, die. ebenso wie eine darüber hinaus gegen 
die ostpreußische Ostgrenze vorgeschobene Reihe be¬ 
festigter Stellungen mit großer Zähigkeit gegen die Armee 
Eichhorn, die Mitte der Heeresgruppe Hindenburg, 
gehalten wurden. Es war volle Zeit vorhanden, die offene 
Stadt Wilna durch weit vorgeschobene Feldbefestigungen 
mit allen Mitteln der Neuzeit zu einem starken, zur Auf¬ 
nahme der vom Njemen zurückweichenden Truppen 
bereiten Waffenplatze auszugestalten. 
Am 18. August eroberte die Armee Eichhorn Kowno 
und gewann damit den zum weiteren Vorgehen gegen 
Wilna wichtigsten Übergang über den Njemen, fand aber 
im Vorschreiten immer wieder erneuten Widerstand. 
Außerdem schob sich ein südlich von Kowno noch auf dem 
westlichen Njemenufer befindlicher russischer Heeresteil, 
auf Olita und Grodno gestützt, wie ein Keil in die deutsche 
Armee hinein. Am 20. August wurde Olita von den 
Russen gräumt, Grodno fiel nach hartem Kampfe erst am 
3. September. Der linke Flügel der Armee Eichhorn 
hatte sich unterdessen Wilna genähert, während ihr Rest 
ungefähr längs der Bahnlinie Wilna—Grodno sich aus¬ 
dehnend, noch weiter zurück war. Am 7. September 
eroberten die Unsrigen einige Seengen bei Troki-Nowe, 
wenige Kilometer westlich von Landwarowo, dem vor-
	        
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