Volltext: 57. Heft 1914/15 (57. Heft 1914/15)

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Der englische Hauptgraben, dessen Linien man deut¬ 
lich verfolgen kann, erhält an bestimmter Stelle einen 
Volltreffer. Jetzt ist das Feld, die ganze Halbinselspitze 
vor uns leer, öde. Nur die-Granateneinschläge beleben 
es, und hart vor unserm Auge schaut die Ruine der grie¬ 
chischen Kirche von Krithia — genau wie eine Riesen- 
lanzel zugerichtet — mahnend über das Land. 
Wir nehmen gerade den üblichen Gastfreundschafts¬ 
mokka, den die türkischen Offiziere uns darbieten, zu uns, 
als das Surren eines Fliegers deutlich hörbar wird. Er 
kreist eine lange, bange Zeit über uns und läßt wohl von 
„drüben" einige Probe¬ 
granaten in die Gegend 
dirigieren. Doch, gesehen 
hat er nichts, kann nichts 
gesehen haben, denn sonst 
würden wir vom Augen¬ 
blick an buchstäblich über¬ 
schüttet. Und dann — 
diese türkische Artillerie: 
Meister im Zielen und 
Meister im Sichverber¬ 
gen — die ganze Quint¬ 
essenz der Wissenschaft 
und der Schlüssel des Er¬ 
folges. 
Der Stellungskom¬ 
mandant und sein Major 
waren übrigens in Berlin, 
Brandenburg ct. H. und 
sonst noch in Deutschland 
gut zu Hause, wie knappe 
Frag und Antwort ergab. 
Zu vielen Worten hatten 
diese prächtigen Männer 
der Front weder die 
Muße, noch ließ uns der 
tiefe Eindruck, den die ge¬ 
samte Umgebung auf uns 
machte, dazu kommen, 
viel Fragen zu stellen. 
Als das Flieger¬ 
gespenst sich völlig ent¬ 
fernt hatte, durften wir 
den Höhlenstand verlassen. 
Eine Viertelstunde gebückt 
durch Zickzackgräben, und 
dann gingen wir nichtsahnend hinter Dornengebüschen 
vorbei, die — gestern noch wirklich harmlose Disteln — 
schon im Augenblick, wo wir unsre Pferde wieder er¬ 
reichten, Tod und Not.nach Süden spien. 
In unsre „Edmundsklamm" zurückgekehrt, hatten 
wir uns nach dem Mittagbrot ruhebedürftig in den Sand 
gestreckt — ich träumte gerade davon, wie es wohl jetzt 
in einer „Villa Maria" aussehen mag — da wälzte mich 
eine unbekannte Macht plötzlich mehrmals um mich selbst, 
bis an den Rand des Baches. 
Verflogen Müdigkeit und Traum: eine ganz mate¬ 
rielle Fliegerbombe mußte hart neben uns ihr Gift ver¬ 
schleudert haben. Rasch die Lehmstufen hinauf, und da 
sehen wir schon an unserm Sattelplatz, wie sechs der 
schönen arabischen Tiere sich in ihrem Blute wälzen. 
Doch nirgends ein Laufen, nirgends ein Rufen, eine be¬ 
sondere Bewegung bemerkbar. Nur ernste Mienen rings¬ 
um bei den Pferdewärtern, von denen zwei blutend, 
von Splittern getroffen, langsam, ruhig sprechend, dem 
Verbandzelt zugehen. Und hier, 30 Meter von der Stelle 
des Blutbades entfernt, im Sandboden ein harmloser, 
leise dampfender Miniaturvulkan, nicht größer als ein 
Grammophon-Schalltrichter. Nicht ein Sprengstück ist 
zu sehen, nur die Fichten an der dem Pserdestand ent¬ 
gegengesetzten Seite weisen Splitternarben auf. 
ZumSteinerbarmen klingt das tiefe, röchelnde Atmen 
eines siebenten schönen Braunen, der noch aufrecht steht, 
mit einer faustgroßen Wunde am Kopf — bittend blickt 
er uns mit seinen klugen schmerzerfüllten Augen an — 
der Tierarzt sagt, er kann noch gerettet werden. 
Der Rest des Tages 
brachte einen Ausflug 
nach dem linken Flügel bis 
an die Dardanellen und, 
geschützt durch einen Bor¬ 
sprung vor feindlichen Ku¬ 
geln ■— ein wundervolles, 
erfrischendes Seebad. 
Fast schien es am näch¬ 
sten Morgen, als ob der 
übliche Frühbesuch dem 
fleißigen Flieger durch 
liebkosende Schrapnells 
gründlich verdorben wor¬ 
den wäre; er kehrte glatt 
um, ohne Wiederkehr. 
Die Rückreise nach dem 
Hauptquartier der 5. 
Armee, obwohl im ersten 
Teile ohne Weg, quer 
durch die schöne, felsige 
Buschwildnis führend, steil 
bergab, bergauf, war 
dennoch ein einziger fried¬ 
licher Genuß. Wer die 
„Grande Corniche" der 
Riviera kennt, findet hier 
eine Steigerung von 
Schönheit und Wildheit. 
Auf der großen Straße 
dann zog zwei Stunden 
lang fast ununterbrochen 
eine Achtung einflößende 
Heereswelle, respektable 
Artillerie und viel kräfti¬ 
ges,frohesFußvolk an uns 
vorüber. „Oghurlar olssun, aslcehr!" (GutGlück, Soldat!) 
In einem Etappendorf, wo ein gewaltiges Leben 
pulsiert, machen wir bei einem Kaffedschi die Bekannt¬ 
schaft eines äußerst sympathischen bosniakischen Sol¬ 
daten,'des Hadschi Schakir Morankitsch aus Tusla, der 
uns auf der primitiven Terrasse vor dem Feigenbaum, 
mit einem „Servus, Daitscher" überrascht. In einem 
Gemisch von vier Sprachen hat er uns ebenso treuherzig 
wie drollig seine Fronterlebnisse erzählt, hat uns Ziga¬ 
retten, „zehn Kraizer", gedreht, hat sich von den bewun¬ 
dernden Kameraden um seine neuen französischen, im 
Schützengraben gefundenen Stiefel beneiden lassen .— 
und uns nach vielen ausgetauschten Höflichkeiten und 
Kaffees: „Dowidzenia, Servus Brudär, Oghurlar" — 
alles auf einmal beim Abschied zugerufen. Ein blonder 
Prachtkerl, zwei Meter hoch in seinen Beuteschuhen 
stehend/ der noch so manchem von denen, die „drüben" 
singen: „It's a long way to Tipperary“ es beibringen 
wird: Dear boy, der Weg nach Krithia ist noch länger!". 
Photothek, Berlin. 
Denkmal für die gefallenen Helden von der Lorettohöye.
	        
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