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Der englische Hauptgraben, dessen Linien man deut¬
lich verfolgen kann, erhält an bestimmter Stelle einen
Volltreffer. Jetzt ist das Feld, die ganze Halbinselspitze
vor uns leer, öde. Nur die-Granateneinschläge beleben
es, und hart vor unserm Auge schaut die Ruine der grie¬
chischen Kirche von Krithia — genau wie eine Riesen-
lanzel zugerichtet — mahnend über das Land.
Wir nehmen gerade den üblichen Gastfreundschafts¬
mokka, den die türkischen Offiziere uns darbieten, zu uns,
als das Surren eines Fliegers deutlich hörbar wird. Er
kreist eine lange, bange Zeit über uns und läßt wohl von
„drüben" einige Probe¬
granaten in die Gegend
dirigieren. Doch, gesehen
hat er nichts, kann nichts
gesehen haben, denn sonst
würden wir vom Augen¬
blick an buchstäblich über¬
schüttet. Und dann —
diese türkische Artillerie:
Meister im Zielen und
Meister im Sichverber¬
gen — die ganze Quint¬
essenz der Wissenschaft
und der Schlüssel des Er¬
folges.
Der Stellungskom¬
mandant und sein Major
waren übrigens in Berlin,
Brandenburg ct. H. und
sonst noch in Deutschland
gut zu Hause, wie knappe
Frag und Antwort ergab.
Zu vielen Worten hatten
diese prächtigen Männer
der Front weder die
Muße, noch ließ uns der
tiefe Eindruck, den die ge¬
samte Umgebung auf uns
machte, dazu kommen,
viel Fragen zu stellen.
Als das Flieger¬
gespenst sich völlig ent¬
fernt hatte, durften wir
den Höhlenstand verlassen.
Eine Viertelstunde gebückt
durch Zickzackgräben, und
dann gingen wir nichtsahnend hinter Dornengebüschen
vorbei, die — gestern noch wirklich harmlose Disteln —
schon im Augenblick, wo wir unsre Pferde wieder er¬
reichten, Tod und Not.nach Süden spien.
In unsre „Edmundsklamm" zurückgekehrt, hatten
wir uns nach dem Mittagbrot ruhebedürftig in den Sand
gestreckt — ich träumte gerade davon, wie es wohl jetzt
in einer „Villa Maria" aussehen mag — da wälzte mich
eine unbekannte Macht plötzlich mehrmals um mich selbst,
bis an den Rand des Baches.
Verflogen Müdigkeit und Traum: eine ganz mate¬
rielle Fliegerbombe mußte hart neben uns ihr Gift ver¬
schleudert haben. Rasch die Lehmstufen hinauf, und da
sehen wir schon an unserm Sattelplatz, wie sechs der
schönen arabischen Tiere sich in ihrem Blute wälzen.
Doch nirgends ein Laufen, nirgends ein Rufen, eine be¬
sondere Bewegung bemerkbar. Nur ernste Mienen rings¬
um bei den Pferdewärtern, von denen zwei blutend,
von Splittern getroffen, langsam, ruhig sprechend, dem
Verbandzelt zugehen. Und hier, 30 Meter von der Stelle
des Blutbades entfernt, im Sandboden ein harmloser,
leise dampfender Miniaturvulkan, nicht größer als ein
Grammophon-Schalltrichter. Nicht ein Sprengstück ist
zu sehen, nur die Fichten an der dem Pserdestand ent¬
gegengesetzten Seite weisen Splitternarben auf.
ZumSteinerbarmen klingt das tiefe, röchelnde Atmen
eines siebenten schönen Braunen, der noch aufrecht steht,
mit einer faustgroßen Wunde am Kopf — bittend blickt
er uns mit seinen klugen schmerzerfüllten Augen an —
der Tierarzt sagt, er kann noch gerettet werden.
Der Rest des Tages
brachte einen Ausflug
nach dem linken Flügel bis
an die Dardanellen und,
geschützt durch einen Bor¬
sprung vor feindlichen Ku¬
geln ■— ein wundervolles,
erfrischendes Seebad.
Fast schien es am näch¬
sten Morgen, als ob der
übliche Frühbesuch dem
fleißigen Flieger durch
liebkosende Schrapnells
gründlich verdorben wor¬
den wäre; er kehrte glatt
um, ohne Wiederkehr.
Die Rückreise nach dem
Hauptquartier der 5.
Armee, obwohl im ersten
Teile ohne Weg, quer
durch die schöne, felsige
Buschwildnis führend, steil
bergab, bergauf, war
dennoch ein einziger fried¬
licher Genuß. Wer die
„Grande Corniche" der
Riviera kennt, findet hier
eine Steigerung von
Schönheit und Wildheit.
Auf der großen Straße
dann zog zwei Stunden
lang fast ununterbrochen
eine Achtung einflößende
Heereswelle, respektable
Artillerie und viel kräfti¬
ges,frohesFußvolk an uns
vorüber. „Oghurlar olssun, aslcehr!" (GutGlück, Soldat!)
In einem Etappendorf, wo ein gewaltiges Leben
pulsiert, machen wir bei einem Kaffedschi die Bekannt¬
schaft eines äußerst sympathischen bosniakischen Sol¬
daten,'des Hadschi Schakir Morankitsch aus Tusla, der
uns auf der primitiven Terrasse vor dem Feigenbaum,
mit einem „Servus, Daitscher" überrascht. In einem
Gemisch von vier Sprachen hat er uns ebenso treuherzig
wie drollig seine Fronterlebnisse erzählt, hat uns Ziga¬
retten, „zehn Kraizer", gedreht, hat sich von den bewun¬
dernden Kameraden um seine neuen französischen, im
Schützengraben gefundenen Stiefel beneiden lassen .—
und uns nach vielen ausgetauschten Höflichkeiten und
Kaffees: „Dowidzenia, Servus Brudär, Oghurlar" —
alles auf einmal beim Abschied zugerufen. Ein blonder
Prachtkerl, zwei Meter hoch in seinen Beuteschuhen
stehend/ der noch so manchem von denen, die „drüben"
singen: „It's a long way to Tipperary“ es beibringen
wird: Dear boy, der Weg nach Krithia ist noch länger!".
Photothek, Berlin.
Denkmal für die gefallenen Helden von der Lorettohöye.