Volltext: 57. Heft 1914/15 (57. Heft 1914/15)

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Grenze, besetzten am 27. den Monte Baldo, einen 
kahlen Gipfel zwischen Gardasee und Etschtal, rückten am 
28, in Ala ein, sowie in Cortina d'Ampezzo. Wo die 
österreichisch-ungarischen Truppen sich aber verteidigen 
wollten, schickten sie die Feinde mit blutigen Köpfen 
heim. Bei Caprile im Cordevoletal, bei Karfreit, wo 
die Besatzung des Krn den Angreifern besonders blutige 
Verluste beibrachte (s. Teil II, Seite 289), bei Plava 
im mittleren Jsonzotal, bei Sagrado und Monfalcone 
am West- und Südhang des später vielgenannten 
Plateaus von Doberdo wurden kleinere und größere 
italienische Abteilungen, die sich schon in diesen ersten 
Tagen an die Stellungen der Verteidiger herantasteten, 
abgewiesen und zum Rückzüge genötigt. 
Die Angriffe der Italiener bereiteten sich nach drei 
Richtungen hin vor: erstens gegen Trient, und zwar durch 
ein konzentrisches Vorgehen in Judikarien, über Ala 
und an der Hochebene von Lafraun, zweitens in Kärnten 
gegen das mitt- 
lerePuster.tal,um 
dieSüdbahnlinie 
in die Hand zu 
bekommen, drit¬ 
tens am Jsonzo. 
Ruhmredig ver¬ 
kündete der ita¬ 
lienische Gene? 
ralstabschef Graf 
Cadorna: „Auf 
diese Weise wur¬ 
den die stärksten 
österreichischen 
Positionen ge¬ 
nommen, die 
Wege zu einer 
Invasion ge¬ 
schlossen, der ei¬ 
genen Offensive 
das Tor geöff¬ 
net". Italien er¬ 
wartete in Bälde 
die Besetzung von Trient, Görz, Triest und den Vorstoß 
ins Herz Österreichs und damit die durch Italiens Helden¬ 
mut herbeigeführte Wendung des Krieges zugunsten des 
Vierverbandes. Auch hier wie bei den Bundesbrüdern 
hatte man sich in der Widerstandsfähigkeit der wach¬ 
samen Grenzbesatzung und der Lebenskraft der öster¬ 
reichisch-ungarischen Monarchie gröblich getäuscht. 
* * 
* 
Inzwischen hatte auch der diplomatische Krieg 
auf der ganzen Linie eingesetzt. Der Erlaß Kaiser Franz 
Josefs an seine Völker war durchweht von der Em¬ 
pörung über den Verrat des Verbündeten, der dreiund¬ 
dreißig Jahre lang die Segnungen des Bündnisses 
hingenommen hatte und nun in der Stunde der Not dem 
Bundesgenossen in den Rücken fiel. 
Die italienische Regierung suchte durch ein Zirkular¬ 
telegramm ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Österreich- 
Ungarn habe durch sein Verhalten gegen Serbien den 
Dreibundvertrag mit eigenen Händen zerrissen. Für 
zeitweise oder dauernde Besetzung von Balkangebieten 
sei Entschädigung des italienischen Bundesgenossen vor¬ 
gesehen. Über diese Ansprüche habe man Österreich- 
Ungarn auch zu Anfang des Krieges nicht im unklaren 
gelassen, die alsbald aufgenommenen Verhandlungen 
hätten aber zu keinem Ergebnis geführt. 
Salandra, 
der italienische Ministerpräsident. 
Der österreichische Minister des Äußeren veröffent¬ 
lichte darauf eine Reihe diplomatischer Aktenstücke. 
Die vereinbarten Entschädigungen, sagte er, hätten sich 
lediglich auf Balkangebiete bezogen. Erbestritt, daß Ita¬ 
lien seinen Standpunkt schon zu Anfang des Krieges 
eingenommen habe. Ein Telegramm des Königs Viktor 
Emanuel an Kaiser Franz Josef aus jenen Tagen ent¬ 
halte im Gegenteil die Versicherung „herzlich-freund¬ 
schaftlicher Haltung entsprechend dem Dreibundvertrage 
und, seinen aufrichtigen Gefühlen". 
Wie die italienische Handlungsweise bei klarblicken¬ 
den Ausländern beurteilt wurde, zeigt ein Brief, den 
der schwedische Volkswirt und Sozialwissenschaftler 
Pontus Fahlbeck von der Universität Lund einem 
Freunde schrieb: „Ich kann nicht unterlassen, Ihnen zu 
sagen, wie tief ich empört bin, wie wohl alle Schweden. 
Es ist etwas Unerhörtes, was hier geschehen ist. Man 
muß nur hoffen, daß die Vergeltung nicht ausbleibe." 
Daß dieje¬ 
nigen, die den 
Vorteil davon 
hatten, Italien 
zujubelten, ist 
selbstverständlich. 
Frankreich nahm 
den Beitritt der 
„lateinischen 
Schwester", der 
es Tunis vor der 
Nase weggenom¬ 
men hatte, mit 
Begeisterung und 
großen Hoffnun¬ 
gen auf. Wahr¬ 
scheinlich war 
trotz allem viel 
ehrliche Über¬ 
zeugung dabei. 
Kriegsminister 
Millerand 
depeschierte an 
Joffre, den französischen Generalissimus: „Italien 
erhebt sich, um an unsrer und der Alliierten Seite 
den Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei zu 
führen." (Im Verein mit Senegalnegern, Gurkhas 
und andren zivilisierten Völkerschaften.) Solche Aus¬ 
sprüche bilden durch ihre unfreiwillige Komik eine 
erheiternde Oase in der großen Wüste der feindlichen 
Schimpfereien. In der französischen Kammer sagte 
der Präsident Deschanel: „Frankreich fühlt, wie ein Auf¬ 
stand des Gewissens des Universums gegen den wahn¬ 
witzigen Stolz einer Raubkaste auflodert." Derselbe Poli¬ 
tiker lüftete übrigens ein wenig das psychologische Rätsel 
des italienischen Treubruchs, indem er von der feinen, 
geschmeidigen Politik des Hauses Savoyen sprach, das 
in den Dreibund nur eingetreten sei, um sich vor den 
Streichen seiner jahrhundertealten Feinde zu schützen. 
Also wenn man sich vor jemandem schützen will, bietet 
man ihm seine Freundschaft und fällt ihn dann hint^t:- 
rücks mit dem Messer an! Deschanel schließt: „Jetzt 
steht Rom an seinem Platz, gemeinsam mit den Vater¬ 
ländern des Rechts, des Ideals, mit den ewigen Stätten 
des Geistes." Dieser Schwulst der Selbstverherrlichung 
verursacht körperliches Unbehagen, er ist aber so bezeich¬ 
nend, daß er in einer Abhandlung über diesen Krieg nicht 
fehlen durfte, ebenso wie ein Äusspruch des italienischen 
Sonnino, 
der italienische Minister des Äußern.
	        
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