Volltext: 57. Heft 1914/15 (57. Heft 1914/15)

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Der italienische Krieg 
bis Ende Oktober 1915. 
Von Felix Freiherrn v. Stenglin. 
Am 23. Mai 1915 überreichte der italienische Bot¬ 
schafter, Herzog von Avarna, in Wien die italienische 
Kriegserklärung. Vom nächsten Tage an, so hieß es, 
betrachte sich Italien als mit Österreich-Ungarn im Kriege 
befindlich. Die Antwort war der kühne Flottenvorstoß 
an die italienische Ostküste in der Nacht zum 24. und 
am Morgen dieses Tages. Er bewies, daß Österreich- 
Ungarn wohl vorbereitet war. Wußte man doch, daß 
die Italiener nur noch zum Schein wegen der geforderten 
Grenzabtretungen verhandelten. Man war auf 
österreichischer Seite weit entgegengekom¬ 
men, unt in diesem Weltkrieg von Süd¬ 
westen her gesichert zu sein und um 
einen dauernden Frieden mit dem 
stets über die Grenze schielenden 
Nachbarn zu erreichen. Man 
wollte den Südzipfel Tirols 
mit Trient (siehe Teil II, 
Seite 257), wollte Friaul 
bis zum Jsonzo abtreten 
und Triest eine selbständige 
Stellung erteilen, aller¬ 
dings innerhalb des öster¬ 
reichischen Staatsgebiets. 
Schwer war dieser Ent¬ 
schluß den greisen Kaiser 
Franz Josef und seine Räte 
angekommen; handelte sicksts 
doch um altösterreichische 
Landstriche, die durch Ge¬ 
schichte, wirtschaftliches und 
soziales Leben seit Jahrhun¬ 
derten, seit hier überhaupt nach 
den Wirren des Mittelalters eine 
feste Staatenbildung entstand, mit 
der Gesamtmonarchie verbunden 
waren. In unbegreiflicher Verblendung 
wies Italien dies Angebot zurück. Es 
wollte Tirol weit ins Deutsche hinein, Görz, 
Triest mit Istrien, einen großen Teil der . 
dalmatinischen Küste und der Inseln, und 
wollte dies alles wie erobertes Gebiet sofort besetzen. 
Man hatte in Italien noch ganz andre Wünsche. 
Betrachten doch manche italienische Heißsporne ihr 
Vaterland längst als Erben der alten Römer. Nach Westen 
zwar ist der Weg einigermaßen versperrt, desto mehr 
warf man seine Blicke nach Osten, nach Kleinasien und 
den vorgelagerten Inseln, nachdem Tripolis glücklich 
eingesteckt worden ist. Hier im Osten setzt sich aber Italien 
durch seine Bestrebungen nicht nur in Gegensatz zur 
Türkest deren Gebiet manche Leute seit geraumer Zeit 
als herrenloses Gut betrachten, sondern auch zu Grie¬ 
chenland, dessen Sprachgebiet ja weit über das politische 
hinausgeht. Dieser Gegensatz zu Griechenland sollte 
später zu entscheidender Bedeutung werden, als es sich 
darum handelte, die Balkanvölker für den Vierverband 
Frankreich-England-Rußland-Jtalien zu gewinnen. Ita¬ 
lien zur Verwirklichung seiner Bestrebungen im Orient 
zu verhelfen, hätte für Griechenland Selbstverstümmelung 
bedeutet. Das hat König Konstantin erkannt. 
Der Vierverband und seine Gefolgschaft erwarteten 
Wunderdinge von einem italienischen Eingreifest. Und 
Der Krieg 1914/15. L 
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Italien war gern bereit, aus der Zeit der „Extratouren", 
die es sich früher mit den Feinden der Mittelmächte 
erlaubt hatte, in ein festes „Engagement" überzugehen. 
Es war überzeugt, daß den Westmächten und Rußland der 
Sieg zuteil werden würde. Auch die Sympathien vieler 
Italiener für die „lateinische Schwester" Frankreich sprach 
mit (trotzdem die Franzosen mehr keltisches und germani¬ 
sches als „lateinisches" Blut in sich haben). Das Bündnis 
mit Deutschland und Österreich-Ungarn war ein solches 
der Nützlichkeit gewesen, Italien glaubte es brechen zu 
können, als Nützlichkeitsgründe es auf die andre Seite 
zu verweisen schienen. Daß es dabei die Kraft der Mittel¬ 
mächte unterschätzte und blind war gegen seine wichtigen 
volkswirtschaftlichen Beziehungen zu ihnen, 
dies war sein tragischer Irrtum. 
In jedem Kriege pflegt der Auftakt 
von großer Bedeutung für den gan¬ 
zen Verlauf des Feldzuges zu 
sein. Er zeigt gleich im Anfang, 
wer den größten Schneid be¬ 
sitzt, sich die größte Kraft zu¬ 
traut. Die „Augsburg" be¬ 
schießt Libau, der Minen¬ 
dampfer „Königin Luise" 
wagt sich in die Themse- 
mündung, Lüttich sieht 
nach wenig Tagen die 
Deutschen als Sieger. So 
wirkt auch die kühn er¬ 
dachte und ausgeführte 
Unternehmung der öster¬ 
reichisch-ungarischen Flotte 
in der Nacht zum 24. Mai 
wie ein mahnendes Zeichen, 
ein Beweis von überlegener 
Kraft. Kriegsschiffe gehen 
gegen die italienische Küste vor 
und zerstören militärische An¬ 
lagen auf der ganzen Strecke von 
Venedig im Norden bis Barletta 
im Süden der Halbinsel. 
Alsbald antworteten die Italiener, in¬ 
dem sie an zahlreichen Punkten über die 
Grenze gingen. Seit neun Monaten hatten 
sie Zeit gehabt, sich auf den Kampf 
gegen den Bundesgenossen in Ruhe vorzubereiten. 
Sie besetzten nun „mit unwiderstehlicher Tapferkeit" 
unverteidigte Ortschaften, die vor der österreichisch¬ 
ungarischen Verteidigungslinie liegen. Nur an wenig 
Stellen fällt die Reichsgrenze mit den zur Vertei¬ 
digung geeigneten Abschnitten zusammen. Vielleicht 
war es verzeihlich, wenn man in Italien diesen mili¬ 
tärischen Spaziergang zu hoch bewertete und sich in 
einen Siegesrausch hineinphantasierte, der im Grunde 
doch recht wenig Berechtigung hatte. Die kleinen Plänke¬ 
leien zwischen österreichischen Patrouillen und Grenz- \ 
wachen wurden ins Ungemessene aufgebauscht und als \ 
großartige Heldentaten gepriesen. Man brauchte aus : 
mancherlei Gründen schnelle Erfolge. 
Schon am 24. Mai zeigte sich italienische Kavallerie 
bei Strassoldo (nördlich Aquileja), italienische Abtei¬ 
lungen besetzten die Höhen zwischen Jndrio und Jsonzo, 
nahmen Cormons, Versa, Cervignano, Terzo, einige 
Tage darauf Gradisca. Am 25. waren sie in Condino 
(Judikarien, südwestliches Tirol), ebenso am Padon- 
paß (nordöstlich der Marmolata) und an der Kärntner 
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König Viktor Emanuel 111.
	        
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