Volltext: 41. Heft 1914/15 (41. Heft 1914/15)

Aus den Kämpfen vor Szawle. 
Von einem Teilnehmer. 
Ende April hatte der deutsche Einfall in Kurland 
begonnen. Großfürst und Generalissimus Nikolajewitsch 
erklärte der überraschten Umwelt, daß er die „nase¬ 
weisen" Truppen sofort wieder über die Grenze zurück¬ 
werfen würde. Aber dazu gehören bekanntlich immer 
zwei. Zwar mußten die deutschen Truppen Mitte Mai 
Szawle räumen, um die allzu ausgedehnte Front etwas 
zusammenzurücken, aber noch angesichts dieser Stadt 
nahmen sie eine neue Stellung am W... kanal. 
Vom 26. Mai an begannen nun von russischer Seite 
eine Reihe geradezu unglaublich wilder Angriffe. Kein 
Offizier, kein Unteroffizier führte die wüsten Haufen. 
Unter der Vorspieglung, wir wären längst vor dem 
unsinnigen Artilleriefeuer gewichen, 
hetzte man die führerlosen Massen 
vor, in der stillen Hoffnung, daß 
unsere Linien vielleicht doch nach¬ 
geben würden. Aber sie hatten nicht 
damit gerechnet, daß hier brave 
Märker standen, Kerntruppen, von 
denen die Veteranen schon den An¬ 
griff auf Antwerpen, den Übergang 
über die Äser, die Kämpfe bei Dix- 
Minden und Langemarck hinter sich 
hatten. Diese erprobten Krieger waren 
keineswegs gesonnen, vor den ..Pan- 
jes", deren militärischen Minderwert 
die Kämpfe der vorausgegangenen 
Tage klar hatten erkennen lassen, auch 
nur einen Schritt zurückzuweichen. 
Zuerst versuchten die russischen Führer 
ihre Truppen am Tage zum Sturm 
vorwärts zu bringen: deutlich er¬ 
kannte man, wie starke Kolonnen 
in die hintersten Schützengräben ge¬ 
worfen wurden, um in Annähe¬ 
rungsgräben nach vorn zu eilen. 
So füllte sich wohl der vorderste 
Schützengraben mit Mannschaften, 
aber es fehlte der Mut, angesichts 
der unerschütterten Haltung des Gegners zum entscheiden¬ 
den Stoß über die Brustwehr vorzubrechen. Diese über¬ 
füllten Gräben boten unserer Artillerie nur ein will¬ 
kommenes Ziel. So beschloß man denn, die kurzen Stun¬ 
den der Dunkelheit zum letzten Angriff zu benutzen. „Koste 
es, was es wolle", so hatte der Generalissimus befohlen, in 
diesem Sinne wurde von den Unterführern weiter ge¬ 
handelt. Ende Mai ist es in jenen nordischen Breiten 
nur von 10% bis 12 Uhr dunkel. Nacht für Nacht griffen 
damals die Russen cm; Berge von Leichen türmten 
sich vor unseren Gräben; einzelne gelangten auch wohl 
hinein, aber nur um sich sofort freundlich grinsend ge¬ 
fangen zu geben. Nur an einer einzigen Stelle gelang es 
ihnen, in der Nacht zum 1. Juni in dem vordersten Stück 
eines Grabens Fuß zu fassen. Es waren eben soviel 
Russen hineingesprungen, daß unsere Leute im Gebrauch 
der Waffen völlig gehindert wurden. Das genommene 
Grabenstück wurde ihnen aber am nächsten Tage sofort 
wieder entrissen. Als der russische Generalstab diesen 
„Erfolg" meldete, war er längst zunichte gemacht. Das 
hat freilich der Bericht zu erwähnen vergessen 
Mit diesem Mißerfolg brach merkwürdigerweise die ganze 
Offensive zusammen. Schon am Morgen des nächsten 
Tages stürmten unsere Märker die vordersten Russen¬ 
gräben. Noch hielt sich ihre festungsartige Hauptstellung, 
aber als wir im Lauf des Abends noch an diese heran¬ 
fühlten, wurde es den Bratuschkis auch dort ungemütlich: 
am nächsten Morgen waren sie im Schutze der Nacht und 
der dichten Wälder verschwunden. Sie hatten jetzt einen 
neuen Trick ausgedacht. Um sich der unangenehmen 
Wirkung unserer schweren Artillerie zu entziehen, hatten 
sie sich mitten in dem riesigen und fast undurchdringlichen 
Forst von W verschanzt. Die einzelnen Gestelle 
waren in der Weise mit von breiten Drahthindernissen 
umgebenen Schützengräben befestigt, daß ein förmliches 
Schanzensystem schachbrettförmig den ganzen Wald durch¬ 
zog. An sich war der Gedanke gar nicht schlecht. Nur 
es gehörte eine andere Truppe dazu, die den Angreifer 
kalten Blutes in das Dickicht marschieren ließ, um ihn 
dann mit Gewehr- und Maschinenge¬ 
wehrfeuer zu überfallen und zu ver¬ 
nichten. Der Zufall wollte, daß die 
erste auf den Wald marschierende 
Truppe aus irgendeinem Grunde vor¬ 
her abbog und außerhalb des Waldes 
weitermarschierte. Da verlor die im 
Hinterhalt liegende Truppe den Kopf: 
sie eröffnete in d.er Richtung auf das in 
der Flanke marschierende Bataillon ein 
wahnsinniges, abervöllig wirkungsloses 
Feuer. Nun war das Geheimnis ver¬ 
raten. Einen Augenblick nur stutzte 
die Vorhutkompagnie, als das Ma¬ 
schinengewehrfeuer über sie hinweg¬ 
prasselte, dann ging's mit Linksnm aus 
den Waldrand los, voran die Offiziere, 
als Nahkampfwaffe den blitzenden klei¬ 
nen Spaten der Mannschaften schwin¬ 
gend: Sprung, auf, marsch, marsch! 
Rasch war der Waldrand erreicht. In 
dem Randgebüsch hatten sich die Russen 
verschanzt, da das Grundwasser sehr 
hoch stand, konnten sie sich nicht in die 
Erde eingraben, sondern hatten aus 
Rasenstücken eine Deckung erbaut, 
aus deren kleinen Schießscharten die 
dreikantigen Bajonette hervorblitzten. Hurra!! .... 
Diese Stellung im Waldrand war unser, was nicht ge¬ 
flohen war, wurde niedergemacht oder gefangen. 
Hurra! ... ertönte es jetzt auch weiter links, die anderen 
Kompagnien der Vorhut waren dort in den Wald ein¬ 
gebrochen, über 200 Gefangene und 2 Maschinengewehre 
blieben in unseren Händen. Der Feind ging überall 
zurück in eine lang vorbereitete, durch breites Draht¬ 
hindernis geschützte Stellung mitten im Wald. Aber 
auch dort wußte ihn unsere schwere Artillerie zu finden. 
Es war schießtechnisch keine leichte Ausgabe, den im 
dichten Unterholz versteckten Gegner wirksam unter 
Feuer zu nehmen, zumal unsere Infanterie ihm stellen¬ 
weise ganz dicht gegenüberlag. Wie leicht konnte da ein 
unbeabsichtigter Treffer in unsere Linien schlagen! 
Aber auch diese Aufgabe wurde glänzend gelöst. Mit un¬ 
geheurem Krach, der sich im Walde doppelt unangenehm 
bemerkbar machte, schlugen die wuchtigen Granaten der 
schweren Feldhaubitzen in und hinter den russischen 
Linien ein, ganze Bäume in die Luft wirbelnd und 
große Trichter da hinterlassend, wo eben noch Ver¬ 
schärfungen gestanden hatten. Dazwischen mischte sich 
der gelle Knall der mit Brennzünder verfeuerten kleineren 
Phot. Berl. Jllustr.-Ges. 
Infanterist mit dem in der französischen 
Armee neu eingeführten Stahlhelm.
	        
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