Volltext: 36. Heft 1914/15 (36. Heft 1914/15)

3u dem französisch - englischen Durchbruchsoersuch zwischen Arras und Neuve 
Rekognoszierungspatrouills irgendeines Regiments den 
Hang herunter. An uns vorüberkommend, meldet sie, 
daß der Kamm heute nicht passierbar sei; droben tobe 
ein furchtbarer Schneesturm, der meterhohe Schnee¬ 
wände aufgebaut habe und nichts Lebendes aus seinem 
Wirbel lasse; jede Spur sei im Augenblick verweht, 
Schneebretter brächen unter der geringsten Last zu¬ 
sammen und donnerten als Lawinen zu Tal. 
Die mit Edelweiß geschmückten Söhne der, Berge 
wollen es nicht glauben; aber ihr Kommandant, Haupt¬ 
mann Birkopf, der in allen Tücken des Gebirgswinters 
erfahren, glaubt es, und doch entscheidet er: „Wir toollen'§ 
versuchen." Die operative Lage gebietet unser rasches 
Erscheinen; das Regiment, das teure Schützenregiment, 
braucht uns zur Ausfüllung seiner durch den Kampf 
gelichteten Reihen. Also die Schneereifen herunter und 
die Schneebrillen vor das Auge. Der Anstieg beginnt. 
denlang grüßt der glitzernde Spiegel des. Plattensees. 
Ein Meer von Licht, der herrlichen ungarischen Metropole 
an der Donau entströmend, läßt noch einmal das uns 
längst entschwundene Gemälde des Friedens vor dem 
geistigen Auge erscheinen. — 
Der nächste Tag sieht uns schon im Etappenraum vor 
dem gigantischen Karpathenwall. In Sz.. Auswaggo- 
nierung und Nächtigung. Die Kantonierung ist nicht 
leicht durchzuführen. In allen Häusern Menschen und 
Pferde. Es muß aber gehen. Die Mannschaft ist von der 
langen Fahrt in engen Waggons erschöpft, die Dorf¬ 
wege und Acker bedeckt knietiefer Morast; an ein Lager 
im Freien ist nicht zu denken. Und es geht auch. „Wie" 
— ist keine Frage für den Krieg. Die braven Landes¬ 
schützen haben sogar Munterkeit und Sangesfreude be¬ 
wahrt. Aus diesem und jenem Haus dringen Tiroler 
Weisen, übermütig keck klingen Schützenlieder, weh- 
zur letzten Ruhe bestattet, die Namen der Helden, die 
fern der Heimat im Kampfe um Kaiser und Reich ihr 
junges Leben verhaucht. Da schleicht sich ein Schütz aus 
den Reihen, dort ein zweiter, ein dritter... Sie brechen 
Reisig von den Bäumen und flechten es zu Kränzen, 
mit denen die nächsten Gräber geschmückt werden. 
Dann wird die Wanderung langsam, aber uner¬ 
müdlich bergauf fortgesetzt. Ein schmaler, gratartiger 
Abhangrücken führt zu den Höhen. Noch kündet uns 
das Gebirge nicht seine Wildheit in vollem Umfange. 
Nur allmählich lernen wir die Naturgewalten kennen. 
Erst wirbeln Flocken um unsere Häupter; es folgt dann 
mancher harte Windstoß, der die glitzernden Kristalle von 
den weiten Schneehängen aufzischen läßt wie weißen 
Dampf durch ein geöffnetes Ventil. Diese Kristalle 
beißen und ätzen die Haut, trüben die Brillen und 
rauben den Atem. Nach wenigen Sekunden schon ist die 
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Ehe wir noch in den tiefsten Schnee geraten, ge¬ 
wahren wir das eindrucksvollste Zeichen des Krieges: 
die Soldatengräber, geschaufelt auf der blutigen Wal¬ 
statt. Auf dieser Rückfallkuppe muß vor Wochen er¬ 
bittert gekämpft worden sein. Ein schlichtes Holz¬ 
kreuz reiht sich an das andere. Zartfühlendes Ver¬ 
stehen ließ an manchem Kreuze zwei Querbalken ent¬ 
stehen: Gräber der orthodoxen Moskowiter. Unge¬ 
lenke Buchstaben künden die Namen derer, die hier 
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Windsbraut fortgezogen, nach diesen kurzen Proben 
ihrer Kraft den ganzen Ungestüm ihrer Jugend für die 
sparend, die es wagen sollten, in ihr Höhenreich einzu¬ 
dringen. Dessenungeachtet wagen wir es. 
Nun stehen wir knapp unter dem Kamm. Wir 
wissen das, ohne uns zu sehen. Vor uns türmt sich eine 
riesige Schneemasse auf. Ihre Höhe ist nicht zu er¬ 
kennen, denn ihr oberer Rand liegt in Rauchschwaden, 
die, immer dichter werdend, pfeilschnell dahinjagen. Der 
: Das Kampfgelände Nolre Dame de Lorette—Larencg, im Hintergründe Souchez. 
Schnee, von einem Orkan gepeitscht, jagt einmal schnur¬ 
stracks die Hänge hinunter, dann wieder windet er sich 
zu einer imposanten Hose empor. Sie zerstiebt, und 
neue weiße Schleier fegen über uns hinweg. Dazu 
ertönt das furchtbarste Konzert. Einmal brüllend und 
tobend, dann wieder pfeifend und klagend rasen die 
entfesselten Elemente über den Kamm der Höhen. 
Jeder Mann bückt sich unwillkürlich und schiebt den 
Kopf zwischen die Schultern; man windet und dreht 
sich nach allen Richtungen, um dem Anprall des Orkans 
nicht das Antlitz darzubieten. Verlorene Liebesmüh; 
denn dieser Feind kommt von Nord und Süd, von 
West und Ost. Die Stimme dringt kaum zum Nächst¬ 
stehenden. Nur mehr das Beispiel kaun noch leiten. 
Die Abteilung der Schneeschuhläufer schnallt die 
„Brettln" an, und nach kurzem Überlegen saust sie, 
einen Südstoß abwartend, in das Tal am Nordfuß des
	        
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