Volltext: 29. Heft 1914/15 (29. Heft 1914/15)

Albions Seeherrschaft. 
Voll Vizeadmiral z. D. Kirchhofs. 
Kurz vor der amtlichen Benachrichtigung unseres 
Admiralstabes von den „mehrfachen" Kreuzfahrten 
unserer Hochseeflotte, die bis in die englischen Ge¬ 
wässer vorgestoßen wäre, ohne einen Feind angetroffen 
zuhaben, wurde bekannt, daß eins unserer Unterseeboote 
eine ähnliche Erfahrung gemacht habe. Das deutsche 
Unterseeboot ist mit einem englischen Fischfahrzeug im 
Schlepp, also in aufgetauchtem Zustande, unbehelligt 
durch die ganze Nordsee hindurchgefahren, ohne von 
einem feindlichen Schiffe im nordwestlichen Teil dieser 
Fahrtstrecke gesehen worden zu sein. Von Aberdeen 
aus bis zur deutschen Küste sind es rund 400 See¬ 
meilen, von denen mindestens die größere Hälfte zu dem 
von England für die neue engere Blockade zu besetzenden 
Gebiet zu rechnen sein dürften. Hier hat also unser 
Tauchboot mit seinem Anhängsel mindestens 20 Stunden 
unbemerkt einherfahren können, was ein Beweis dafür 
ist, daß von einer Beherrschung der Nordsee durch 
England oder gar von einer englischen Blockade der 
deutschen Bucht der Nordsee keine Rede sein kann. 
Englische Kriegsschiffe fassen überall ihre Opfer, das 
sind jetzt nur noch Schiffe der armen kleinen Neu¬ 
tralen, unentwegt fernerhin auf offener See ab und 
schleppen sie in ihre Häfen. Eine Vergewaltigung 
dieser Art und eine Schikane folgt der anderen. Unsere 
Unterseeboote haben wahrlich schon viel und vielerlei 
geleistet, sie haben große und kleine Kriegsschiffe sowie 
Handels- und Fischdampfer vernichtet, sie haben Be¬ 
satzungen von Handelsschiffen vor dem Versenken an Bord 
genommen und nach der Küste zu gerettet, sie haben auch 
Boote mit Schiffsbesatzungen stundenlang geschleppt. Aber 
solch eine Leistung, mit einem Schiff im Schlepp das 
„erweiterte englische Kriegsgebiet der Nordsee" lang¬ 
sam zu durchfahren und das ohne jedwede Belästi¬ 
gung, das ist etwas ganz Neues und Eigenartiges. 
Solche großartigen Leistungen waren von der Unter¬ 
seebootwaffe vor dem Krieg weder erwartet noch erhofft 
worden. Deutschem Tatendrang und deutscher Tatkraft, 
deutscher Wissenschaft, Technik, Industrie und deutschem 
Militarismus war es vorbehalten, der staunenden Welt 
diese neuen Möglichkeiten der Seekriegführung vor 
Augen zu führen. 
Trotzdem schon oft darauf hingewiesen wurde, ver¬ 
gißt oder verkennt die große Menge noch immer die Tat¬ 
sache, daß selbst die größten neuesten Unterseeboote nur 
wenige Stunden mit großer Fahrt unter Wasser fahren 
können, daß sie mithin die größeren Strecken — z. B. 
die von den deutschen Küsten bis an die englischen Küsten 
oder gar bis in die Irische See und Biskaya hinein — 
nur in mehr oder minder voll aufgetauchtem Zustande 
mit den Olmaschinen zurücklegen müssen. Während 
dieser Zeit speichern sie alsdann die in der vorher¬ 
gehenden Unterwasserfahrt verbrauchte Kraft der elek¬ 
trischen Akkumulatoren wieder auf. Letzteres ist na¬ 
türlich auch während der etwaigen Ruhepause bei 
einer Verankerung am Meeresgrunde möglich. 
Wir werden noch manche fernere staunenswerte 
Tat unserer wackeren Unterseeboote erfahren, die schon 
solche Erfolge erreicht haben, daß neuerdings die Schiff¬ 
fahrt zwischen Holland und Nordfrankreich fast ganz 
unterbunden wurde und die englische Regierung mit der 
Entsendung von Truppen nach dem Festlande zögert 
und sehr, sehr vorsichtig verfährt. 
Die Nordsee ist nach wie vor fast so gut wie frei, 
und die geplante Absicht unseres schlimmsten Gegners, 
seine Flotte nicht einzusetzen, um beim Friedensschluß 
mit ihr einen starken Trumpf ausspielen zu können, 
schreckt uns nicht. Albions Pläne haben nicht viel auf 
sich, wir wissen, was wir von solchem Verhalten zu 
erwarten haben. 
* * 
* 
Der Sturm auf den Zwininrücken. 
Während die Kämme der eigentlichen Waldkarpathen 
Anfang des Jahres 1915 noch im Besitz der Russen waren, 
schoben sich weiter östlich mit Beginn der Schneeschmelze 
die verbündeten deutsch-österreichisch-ungarischen Truppen 
langsam, aber unaufhaltsam vorwärts nach Norden zu; 
sie stiegen in das Gebiet des Dnjestr und gefährdeten 
damit allmählich den linken Flügel der riesigen russischen 
Karpathenfront. Zähe verteidigten die Russen auch 
dort Hang auf Hang des viel und unregelmäßig ge¬ 
fältelten Berglandes. Mit unleugbarem Geschick und 
unermüdlicher Arbeitskraft hatten sie Linie hinter 
Linie befestigt, und man muß bekennen, daß der vom 
methodischen Taktiker für minderwertig erachtete „Posi¬ 
tionskrieg" hier dem Angreifer recht viel zu schaffen 
machte, wenn auch das endgültige Ergebnis trotz der 
gelegentlichen Offensiven des Gegners kaum zweifelhaft 
bleiben konnte. Von dem Hauptkamm der östlichen 
Beskiden vertrieben, hatte die russische Heeresleitung 
die wichtige Talstraße, die, verschiedenen Flußläufen 
sich anschmiegend, aus der Theißniederung von Munkacz 
über Volocz und Tuchla, Skole nach dem Ort Stryj 
am gleichnamigen Nebenfluß des Dnjestr führt, ge¬ 
sperrt und das gewaltige Massiv des im Westen sich 
der Enge vorlegenden 1000 Meter hohen Zwinin- 
rückens als Stellung ausgebaut. Die deutsche 1. Divi¬ 
sion (von Conta) rückte Anfang Februar gegen das im 
Quellgebiet der Orawa gelegene Tucholka vor, warf 
am 2. Februar die Russen vom Höhenkamm und nah nt 
auch die das Orawatal beherrschende Lysa-Höhe. Ver¬ 
geblich versuchten die Russen, nochmals auf den Höhen 
am Nordrand von Tucholka Widerstand zu leisten, am 
3. Februar waren auch diese in deutschem Besitz. Nun 
setzte sich der Gegner auf den Zwinin- und Ostry-Höhen 
fest. Von Stryj kamen erhebliche Verstärkungen heran, 
während die numerisch schon erheblich geschwächte 
1. Division ein Regiment abgeben mußte. Gleichzeitig 
setzte ein mächtiger Schneefall mit Kälte bis über 20 Grad 
ein. Ein Augenzeuge schreibt: „Dem weit überlegenen 
Feind bot der Zwininrücken ein schon durch seine 
natürliche Beschaffenheit fast uneinnehmbares Bollwerk. 
Steil mit einer Steigung von 45 Grad und kahl wie 
eine Tischplatte ragt er empor, und weit und breit ist 
keine Tanne zu sehen, die Schutz gewähren würde." 
Drei, vier Reihen Schützengräben zogen sich stockwerk¬ 
förmig an ihm entlang. An den am meisten gefähr¬ 
deten Einbruchsstellen waren massenhaft Maschinen¬ 
gewehre wohlverborgen eingebaut, die teilweise mit 
Unterholz bestandenen Gänge gewährten der Artillerie 
eine auch gegen Fliegererkundung trefflich gedeckte 
Stellung. Die ganze Stellung war von einem starken 
halbkreisförmigen Hindernis aus Stacheldraht gesichert. 
„Uneinnehmbar!" Diese Ansicht herrschte nach Ge¬ 
fangenenaussagen bei dem Verteidiger. Aber er hatte 
nicht mit der Angriffskraft der deutschen Südarmee 
gerechnet, der diesmal der Hauptanteil des Sturm¬ 
angriffs zufiel; kernpreußische Regimenter! Sie hatten
	        
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