Volltext: 29. Heft 1914/15 (29. Heft 1914/15)

der ersten Hälfte des November neue Kämpfe um 
Reims. Die anscheinend geringen, nur meterweise vor¬ 
rückenden, aber sich allmählich doch summierenden Er¬ 
folge der Deutschen hatten die Franzosen nervös ge¬ 
macht; sie wollten eine kräftigere Wirkung ihres Feuers 
herbeiführen. Dazu war ihnen das herrliche Bauwerk 
der Kathedrale (siehe Bild Teil I, S. 94), um derent¬ 
willen sie erst noch im September einen Entrüstnngs- 
schrei über die deutsche „Barbarei" in alle Welt hatten 
hinausgehen lassen, gerade gut genug. Die französische 
Heeresleitung hatte wiederum eine Batterie vor der 
Kathedrale von Reims aufgestellt und einen Beobachtungs- 
Posten auf dem Turm eingerichtet. Infolgedessen mußte 
Reims in den ersten Novembertagen aufs neue beschossen 
Werden. Die Stadt litt unter dieser dritten Beschießung 
— eine zweite hatte aus ähnlichen Gründen Mitte Ok¬ 
tober stattfinden müssen — außergewöhnlich schwer. Aber 
diese harten Mittel waren um so notwendiger, als die 
Franzosen von ihrer Regierung und Heeresleitung be¬ 
ständig durch die ärgsten Lügen getäuscht wurden. Man 
bediente sich des höchst zweifelhaften Mittels, den 
Truppen beständig Märchen von der gänzlichen Er¬ 
schöpfung und Ermüdung ihrer Gegner vorzuerzählen. 
In Wahrheit ließ sich das nicht einmal von dem 
schwierigsten und verhältnismäßig ungünstigsten Teil 
der deutschen Stellung im Westen, der deutschen Front 
in den Argonnen, behaupten. Die Art der Kämpfe, 
die hier ununterbrochen um jeden Fußbreit des Bodens 
nnsgefochten wurden, ist früher schon geschildert worden. 
Es hatte sich daran nichts geändert. Die Franzosen 
wendeten jedes nur erdenkliche Mittel der Kriegstechnik 
-an, um sich zu behaupten und das Vordringen der 
Deutschen, das ja unglücklicherweise in der Richtung 
-der Längsachse des Gebirges erfolgen mußte, aufzu¬ 
halten. War glücklich von den Unsrigen mit großer Mühe 
-ein Heiner Fortschritt von wirklicher Bedeutung erreicht, 
so wurde sofort von den Franzosen ein Gegenangriff 
unternommen; das Mißlingen solcher Angriffe und die 
-großen Verluste, die sie dabei erlitten, schreckten sie nicht 
ab, diese Angriffe zu wiederholen. Der Kampf wurde 
hier mit allen Mitteln des Festungskrieges geführt. 
sSiehe Bilder Teil I, S. 103, und Teil II, S. 23.) 
Es war ein mühseliges Ringen; aber das Verdienst 
unserer tapferen und wunderbar ausdauernden Kämpfer 
wird nicht dadurch geschmälert, daß man feststellen 
muß: eine irgendwie entscheidende Änderung der Kriegs¬ 
lagen wurde in allen den Wochen bis in den Winter 
hinein hier nicht erzielt. Das ging einfach über 
Menschenkraft hinaus. 
In dieser Lage für die Bezwingung der benach¬ 
barten Festung Verdnn übergroße Opfer einzusetzen, 
wäre zwecklos gewesen. Der große Bogen, den ° die 
-deutsche Stellung um Verdun herum machen mußte, 
blieb vorläufig bestehen, und man begnügte sich mit der 
Abweisung französischer Angriffsversuche. Südlich von 
Verdun hielten wir an der Maas den vorgeschobenen 
Punkt St.-Mihiel mit dem Camp des Romains fest; 
«s gelang den Franzosen trotz wiederholter Angriffe, 
mit denen sie uns zu überraschen suchten, nicht, unsere 
'Truppen von dort zu vertreiben. (Siehe Bilder Teil I, 
S. 100, 101.) 
Von St.-Mihiel verlief unsere Front in einer 
.zurückgebogenen Linie durch die Woevre-Ebene nach 
Osten, über die Mosel hinweg und an der lothringischen 
Grenze entlang bis zu den Vogesen. Auch hier wurden 
in den letzten Monaten des Jahres 1914 keine Gefechte 
von entscheidender Bedeutung geliefert. Die Kriegslage 
ergab naturgemäß einen Stillstand. 
An der Vogesensront konnten die Franzosen die 
einzige Stelle aufweisen, an der sie auf deutschem Ge¬ 
biet standen. Das hing damit zusammen, das; sich für 
uns eine besondere Kraftentwicklnng an dieser Stelle 
aus strategischen Gründen nicht lohnte; ferner auch 
damit, daß eine der von Natur stärksten französischen 
Festungen, Belfort, leider so nahe an diesem äußersten 
Winkel unserer Grenze liegt, daß jeder Versuch, die 
Franzosen hier dauernd aus unserem Gebiet fernzu¬ 
halten, gleichbedeutend ist mit einem ernsthaften Angriff 
auf die Festung. Man ging diesem Gedanken nicht 
ganz aus dem Wege. Nachdem der erste Ansturm der 
Franzosen auf das Oberelsaß siegreich abgeschlagen 
worden war, nötigte uns zwar die Rücksicht auf eine 
möglichst zweckmäßige Verteilung der damals zunächst 
verfügbaren Streitkräfte, die Kriegslage an diesem Teil 
der Front möglichst zu erhalten, wie sie war. Aber man 
richtete sich doch auch darauf ein, die Gelegenheit, etwas 
gegen Belfort zu unternehmen, nicht etwa vorübergehen 
zu lassen. Anfang Oktober wurde nach längerem Stillstand 
— einer Zeit, in der wir uns damit begnügten, franzö¬ 
sische Angriffe abzuweisen — wieder ein Vorrücken 
gegen Belfort versucht. Es galt auch, den moralischen 
Eindruck unserer Erfolge bei Antwerpen möglichst 
auszunutzen. In der Tat fingen nach dem Fall von Ant¬ 
werpen die Franzosen an, sich nach dem Verlust mehrerer 
bis dahin festgehaltener Stellungen auf eine Belage¬ 
rung von Belfort einzurichten. Die Zivilbevölkerung 
mußte den Ort verlassen. Den Franzosen gelang es 
Mitte Oktober, erhebliche Verstärkungen heranzuziehen 
und mit diesen im Gebirge vorzugehen, während die 
Deutschen vor Belfort allmählich Gelände gewannen. 
Leider konnte nicht verhindert werden, daß die Fran¬ 
zosen im Gebirgskrieg in den Vogesen Fortschritte machten 
nnd die gewonnenen Stellungen sehr stark befestigten. 
So folgte im November eine zweite Periode des 
Stellungskrieges und des Stillstandes der Operationen 
auch an der Vogesenfront. Erst im Dezember begannen 
wieder heftigere Kämpfe, weil die Franzosen wohl 
glauben mochten, durch örtliche Erfolge, wie sie ihnen 
auch vorübergehend infolge der Gunst des Geländes 
hier und da zuteil wurden, die Besetzung des ganzen 
Oberelsaß erreichen zu können. Aber ein mit größeren 
Mitteln unternommener französischer Angriff bei Alt- 
kirch wurde am 5. Dezember blutig zurückgewiesen, und 
zehn Tage später erstürmten die Deutschen eine von den 
Franzosen lange zäh festgehaltene Höhe bei Sennheim. 
Gegen Weihnachten stand die Partie im wesentlichen 
wieder wie früher. Wie schon bemerkt wurde, war dies 
das Charakteristische der Lage auf der ganzen Westfront. 
Die nervöse Veranlagung der Franzosen trug schwer 
daran. Sie begannen stärker das Drückende der Tatsache 
zu fühlen, daß der Feind die wirtschaftlich bedeutsamsten 
Teile des französischen Gebietes fest in seiner Hand hielt. 
Dazu wurde ihnen von England aus beständig, teils als 
ernsthafte Überzeugung, teils im Ton der ungeduldigen 
Mahnung, gesagt, daß es ein Leichtes sei, die Deutschen 
aus Frankreich zu vertreiben. Joffre wurde daher 
wieder gedrängt, es mit einer Offensive großen Stils zu 
versuchen. Das brachte einmal wieder etwas Abwechslung 
in die Kämpfe im Westen, und mit großen Hoffnungen 
und Entwürfen gingen die Verbündeten in das neue 
Jahr, wo die schon am 17. Dezember angekündigte 
große Offensive ihre volle Wirkung üben sollte.
	        
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