Volltext: 20. Heft 1914/15 (20. Heft 1914/15)

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durch die Übermacht nicht abhalten, den Russen immer 
wieder entgegenzutreten und sie blutig zurückzuwerfen. 
Diese glänzenden Leistungen, die in den zahlreichen 
Einzelgefechten zutage traten, mußten freilich doch 
einmal ihre Grenze finden an der zunehmenden zahlen¬ 
mäßigen Überlegenheit des Feindes. So wurde schlie߬ 
lich der Rückzug befohlen, der auch unsere noch zwischen 
der Pilica und der Radomka befindlichen, nach Norden 
marschierenden Truppen mitberührte, da diese sonst 
schwer gefährdet gewesen wären. Zu gleicher Zeit 
suchten die Russen ihre Übermacht zu benutzen, um vor 
allem auf unsern linken Flügel zu drücken. Sie schoben 
deshalb besonders starke Kräfte gegen Skierniewice vor 
und zwangen uns auf diese Weise, den linken Flügel 
zurückzubiegen, um damit einer Umfassung zu entgehen. 
Unter diesen Verhältnissen 
beschloß Generaloberst von Hin- 
denburg im Einverständnis mit 
unseren Bundesgenossen eine voll¬ 
ständige. „Loslösung" der Truppen 
vom Feinde", d. H. einen Rückzug, 
der dem Feinde die Möglichkeit 
eines: raschen und erfolgreichen 
Nachdrängens nicht gewährt, viel¬ 
mehr dem Zurückgehenden die 
Freiheit, des Handelns wiedergibt, 
die er in der unmittelbaren Be¬ 
rührung mit dem Feinde zu ver¬ 
lieren fürchten mußte. Man hält 
den Feind fest und verhindert 
ihn, schnell zu folgen, während 
man eine weite Strecke zurückgeht. 
Dazu gehört, außer geschickt 
durchgeführten Rückzugskämpfen, 
daß auch auf dem ganzen von 
der Rückzugsbewegung berührten 
Gelände sämtliche Bahnanlagen, 
Straßen und Telegraphenverbin¬ 
dungen gründlich zerstört werden. 
Unsere braven Pioniere haben 
dieses notwendige Zerstörungs¬ 
werk nach dem eigenen Geständnis 
der Russen mit einer Umsicht, 
nischen Sorgfalt ausgeführt, die vom Feinde sehr bitter 
empfunden wurde. 
Denn es gab keine noch so kleine Überbrückung 
auf den ohnehin spärlichen Eisenbahnstrecken dieses Ge¬ 
biets, die nicht durch Sprengung sorgfältig beseitigt 
worden wäre. Die Schrauben der Schienen, womöglich 
auch die Schwellen des Eisenbahnoberbaues waren ent¬ 
fernt, die Schienen außerdem durch Sprengwirkungen 
verbogen, die Telegraphendrähte durchschnitten, die 
Pfähle umgehauen, die an sich schon unsäglich schlechten 
Straßen noch weit unbrauchbarer gemacht. 
Die Linie, in die die österreichisch-ungarischen und 
die deutschen Streitkräfte aus Polen bis Ende Oktober 
zurückgeführt wurden, hatte ihren rechten Flügel in 
der Gegend von Krakau und verlief von hier über Ezen- 
stochau bis Sieradz an der oberen Warta — im wesent¬ 
lichen also parallel der schlesischen Grenze. Die ganze 
Bewegung glückte vollkommen, da sie rechtzeitig einge¬ 
leitet und mit großer Geschicklichkeit und Ruhe ausgeführt 
wurde, während die Russen wegen der erwähnten 
nachhaltigen und gründlichen Zerstörung aller Verbin¬ 
dungen nur langsam folgen konnten und ihre Gegner 
nicht zu störeu vermochten. 
Energie und tech- 
Es war aber nicht die Absicht, in der neuen Stellung 
den Angriff der Russen zu erwarten. Jene schon einmal 
hier erwähnte Darstellung, die unsere Heeresleitung über 
den Feldzug des Generalobersten von Hindenburg ver¬ 
öffentlicht Hot, spricht sich über die Lage am 1. November in 
folgender Weise aus: „Das Ziel der weiteren Operation der 
Verbündeten mußte sein, die Kraft der großen Offensive 
der russischen. Massen unter allen Umständen zu brechen. 
Dies konnte trotz der großen zahlenmäßigen Überlegen¬ 
heit des Feindes nur durch den Angriff erreicht werden; 
eine starre Verteidigung konnte nur Zeitgewinn bringen, 
mußte aber von den gewaltigen feindlichen Massen über 
kurz oder lang erdrückt werden." Dieser allgemeinen Be¬ 
urteilung wurden nun die Anordnungen angepaßt, die als 
eine „Neugruppierung" der Streitkräfte bezeichnet wurden. 
Was die Russen betrifft, o 
befanden sich ihre Hauptkräfte 
während der Rückzugsbewegung 
der Verbündeten zu einem Teil 
in und bei Warschau; zum andern 
Teil folgten sie den Verbündeten 
auf dem linken Weichselufer von 
Warschau und Jwangorod aus in 
der Richtung auf die oberschlesische 
und westgalizische Grenze. In 
Galizien selbst folgten anfangs 
nur schwächere Kräfte in der Rich¬ 
tung auf Krakau, bis kurz darauf 
auch die Russen sich veranlaßt 
sahen, ihre Kräfte nach neuen 
Gesichtspunkten zu verteilen und 
an verschiedenen Punkten zur Her¬ 
beiführung weiterer Entscheidun¬ 
gen abermals zu verstärken. 
Die Verbündeten hatten be¬ 
schlossen, dieser Lage gegenüber 
den Angriff auf' die russischen 
Hauptkräfte in Polen zu führen, 
d.h.mitihremZentrum vorzustoßen, 
auf den äußersten Flügeln in Ost¬ 
preußen und Galizien aber vor¬ 
läufig in der Defensive zu bleiben. 
Diese Flügel waren nämlich gleichfalls wieder von einer 
feindlichen Übermacht bedroht. 
Auf dem rechten Flügel der Verbündeten entwickelte 
sich die Lage bis gegen Mitte November in folgender 
Weise. Während die in Südpolen stehenden österreichisch¬ 
ungarischen Truppen von Jwangorod zurückgingen, 
.setzten die Heeresteile, die in die Kämpfe gegen die 
Russen in der Linie Stary Sambor—Medyka verwickelt 
waren, ihre Anstrengungen, den russischen Widerstand 
zu brechen, unermüdlich fort. Sie brachten in allen 
diesen Gefechten, die bis in die erste Novemberwoche 
hinein fortdauerten, den Russen außerordentliche Ver¬ 
luste bei. Die Gefangenenziffern stiegen immer höher, 
und die blutigen Verluste der Russen erreichten gleich¬ 
falls eine bemerkenswerte Höhe. Aber sie wurden immer 
wieder ersetzt, so daß trotz aller Anstrengungen, bemer¬ 
kenswerter Teilerfolge und unvergleichlicher Tapfer¬ 
keit der österreichisch-ungarischen Truppen die russische 
Stellung nicht zu durchbrechen war. Dagegen zeigte 
sich bald, daß die Russen auch nach Ostgalizien und Mittel¬ 
galizien bedeutende Verstärkungen geführt hatten. Das 
merkten zunächst diejenigen Teile der österreichisch- 
ungarischen Armee, die kurz vorher erst noch die Russen 
aus den Karpathenpässen und der Bukowina vertrieben 
Phot. R. Mohrmann, Lübeck. 
Generalleutnant Kurt von Morgen.
	        
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