Volltext: 173. Heft 1914/18 (173. Heft 1914/18)

allernächsten Verbindungen wiederherzustellen. Ein freund- 
liches, ein scherzhaftes Wort mit Aufbietung aller Willens- 
kraft, das Beispiel irgendeiner harmlosen alltäglichen 
Handlung muß oftmals das seelische Gleichgewicht der 
Leute aufrichten. Ich überzähle mit meinem Munitions- 
Unteroffizier wieder mal des Nachschubs wegen die ver- 
feuerte Munition: 3000 Schuß seit 10 Stunden. Noch ist's 
nicht dunkel. Die Dämmerung läßt die Umrisse der 
Umgebung deutlich erkennen, aber der Tag ist unser, 
mit geringer Ausnahme hat der Franzmann, wie schon 
so oft, seine blutige Abfuhr bekommen, das zeigt sich 
schon an dem noch anhaltenden wütenden Vergeltungs- 
feuer, das noch auf der Batterie und der ganzen Umge- 
bung liegt. Doch die heilige Weltordnung läßt auch 
Nacht werden. Tiefschwarze oder mondklare Nacht, 
kurze Stunden des Aufatmens oder der Erfrischung für 
die notwendigsten Leibesbedürfnisse. Nur Ruhe und 
Schlaf gibt's kaum. Da kommen die wagenlangen 
Kolonnen und bringen Munition, die muß getragen wer- 
den vom Abladeplatz zum Geschütz; da werden die zer- 
störten Kanonen weggeholt und neue gebracht, da wird 
ausgebessert, gegraben, geschanzt, am nächsten Morgen 
soll der Feind einen gleichen Empfang erhalten wie heute, 
kommen wird er sicher noch einmal. Und so war es nun 
3 Wochen lang gegangen, fast ohne irgendwelche Atem- 
pause. Nicht gar viele, die mit in diese Stellung gezogen 
waren, sind noch da. Und diese wenigen tun in einer 
fast übermenschlichen Resignation ihre Pflicht, wie eine 
aufs äußerste angespannte Maschine. 
Und da war es irgendwoher geflogen, das Wort 
Ablösung. Nock) wollte niemand dran glauben. Was 
verbindet sich unbewußt mit den drei Silben? Waschen, 
Schlafen, Atmen in Gottes freier Natur, ohne jede 
Minute, die man aufrecht steht, den heulenden Tod um 
sich zu spüren. Sollte es wirklich wahr sein? Der Batterie- 
führer weiß nichts Genaues, ich kann bei der Gruppe 
keine gewisse Bestätigung bekommen. Und dennoch ist 
das innere Freudengefühl über das unbestimmte Ge- 
rücht nicht zu verbergen. Wohl hatten schon manchmal 
zitternd die Nerven gebebt, wenn eine so erwartete 
Botschaft nicht zur Tat wurde, aber diesmal mußte 
selbst das Geschick ein Einsehen haben. Und der lang- 
ersehnte Befehl kam: Die..te Batterie Feld-Art.-Reg. 
Nr... löst die . .te Batterie Res.-Feld-Art.-Reg... in 
den Nächten vom ... zum — 1917 zugweise ab. Im 
Kriege überstürzen sich die Ereignisse, und der Mann 
der Tat hat selten Zeit, große überlegende Vorberei- 
tun g en zu treffen. So kommt denn auch schon, kaum 
daß der Ablösungsbefehl da ist, das neue Vorkommando. 
Der Führer der neuen Batterie mit einem Batterie- 
offizier und einigem Telephonpersonal. Endlich wieder 
mal Leute, die aus einer Welt kommen, wo Menschen 
als Menschen leben. 
Ein Schnaps des Morgens dienlich ist, desgleichen 
zu Mittag, und wer ihn abends nicht vergißt, der spart 
sich Müh' und Plag', desgleichen soll ein Branntewein um 
Mitternacht nicht schädlich sein. Die schöne Begrüßungs- 
formel mit einem kräftigen Schluck noch alten echten 
Schwarzwälder Kirschwassers stellt gleich den kamerad- 
schaftlichen Verkehrston her. Bald sind die nötigen 
Übergabemaßregeln besprochen, Karten, Befehle über- 
geben, übernommen, müssen doch die Nachfolger genau 
mit der Gefechtslage und Gefechtsaufgabe vertraut 
werden. 
So kann in der kommenden Nacht der eine Zug 
der neuen Batterie in Stellung gehen und zwei Ge¬ 
schütze der alten Batterie ablösen. Noch einmal sind die 
Lebensgeister der Leute aufgerüttelt, und wer heute 
schon zurück darf, glaubt schier gar das große Los gezogen 
zu haben. Die wenigem Habseligkeiten werden gepackt, 
viel mehr, als man am Leib trägt, nimmt man doch 
selten mit in Stellung. All die Teile und das Zubehör, 
was zum Geschütz gehört, wird, so gut es geht, an seinem 
Platz verstaut, immer noch muß ja die Batterie ihre 
ganze Kampfkraft einsetzen und wie all die Tage zuvor 
ihre hastende Arbeit vollbringen. Die Viertelstunden 
werden zu Ewigkeiten, die Ablösung kommt immer noch 
nicht. Ist gar etwas passiert? Auf den Anmarschwegen 
liegt lebhaftes feindliches Störungsfeuer. Doch endlich 
stehen sie da, die sechsbespannten Protzen mit den neuen 
sauberen Kanonen. Wie dunkle Riesenschatten heben 
sich die Gestalten der kräftigen Pferde mit den Fahrern 
in dem nächtlichen Zwielicht ab. Die alten Kanonen 
werden zurückgezogen. Kurze Kommandorufe erschallen, 
ein emsiges Laufen hin und her, dazwischen ein unter- 
drücktes Fluchen oder Schelten. Zuu — — gleich, hoo— 
Hop — zwei Mann in die Räder, ich höre schon, das eine 
Geschütz steckt so tief in seinem Loch, daß es kaum heraus- 
zubringen ist. „Alle Kanoniere an das erste Geschütz." 
Langtaue werden an den Radnaben befestigt, und mit 
vereinten Kräften gelingt es endlich, die Kanone flott 
zu kriegen. Jetzt das neue Geschütz abgeprotzt, in 
den alten Geschützstand, und das alte an die Protze ge- 
hängt. Der Richtkanonier macht dazwischen seinen Nach- 
folger mit allem vertraut, was wissensnotwendig ist, 
und nimmt selbst noch die erste Richtung. 
„Erster Zug abgelöst, Geschütze aufgeprotzt." Der 
Batterieführer nimmt vom Pferde die Meldung ent- 
gegen. Ein ganz ungewohntes Gefühl, nach Wochen 
wieder das erstemal im Sattel auf dem liebgewordenen 
vierbeinigen Kameraden. Noch ein Händedruck, alles 
Gute zum Nachfolger, ein Aufrecken im Sattel, dann 
ein kurzer Pfiff, und die zwei Geschütze setzen sich in 
dunkler Fahrt dem Ruh e quartier zu in Marsch. Ich 
bleibe noch zurück mit dem zweiten Zug, zugleich als 
Einweisungs- und Nachkommando. Noch einmal geht's 
am frühen nächsten Morgen mit dem Offizier der neuen 
Batterie zur Beobachtungsstelle. Noch einmal durch 
Schlamm und Morast über Trichterfelder auf schmalen 
Waldschleichwegen mit unfreiwilligen Pansen zu dem 
vorgeschobenen Unterschlupf, von dem aus der Beobachter 
mit dem Scherenfernrohr als dem allumfassenden 
Ange der Batterie das Feuer leitet. Zweimal müssen 
wir haltmachen unterwegs, eng an eine Grabenwand 
gekauert, um einen feindlichen Feuerüberfall auf das 
Zwischengelände vorüberbrausen zu lassen. Nur jetzt 
nicht, am Vorabend meiner Ablösung noch gehascht 
werden vom fliegenden Eisen. Unwillkürlich Kämpfen 
sich die Hände zum stammelnden Gebet zusammen. 
Noch einige lange Sprünge über eingesehenes Gelände, 
und wir sind da. Rasch gilt's die beiden neuen Geschütze 
einzuschießen, das Gelände erklären, markante Punkte, 
empfindliche Stellen des Feindes besonders zu zeigen. 
Ein Glück, wenn die Drahtverbindung zur Batterie hält. 
Aber meist wird sie mehrere Male während des Ein- 
schießens zerschossen, dann müssen wir warten, bis die 
nimmermüden Telephonisten den Schaden ausgebessert 
haben. Endlich, Verständigung ist da, ein paar kurze 
Kommandoworte, und nach bangem Zählen der wenigen 
Sekunden zwischen dem gemeldeten Abfeuern und dent 
Ankommen der Geschosse hören wir das pfeifende 
Sausen über unsren Köpfen
	        
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