Volltext: 17. Heft 1914/15 (17. Heft 1914/15)

Phot. G. Berger, Porsoam. 
•j 32 OOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO 0000000000000000000000000000000000000000000000 
Eisenbahn, auf kürzere Landstrecken in Wagen und Auto¬ 
mobilen oder auch zu Schiff. — Die hochentwickelten 
Lazarettzüge beanspruchen eine Betrachtung für sich. 
* * 
-i- 
Zwischen Weihnachten und Neujahr. 
(Aus einem Feldpostbrief.) 
II. 
Nach siebenstündiger Fahrt stiegen wir aus. Unser 
alter Oberstleutnant empfing telephonisch Befehle, er¬ 
hielt vom Bahnhofskommandanten die notwendigen 
Karten, die an die Offiziere verteilt wurden, und los 
wahrhaftig, ausgerechnet das hatte ich in der Hast und 
Eile eingepackt. Wachslichtchen waren daran, also runter 
vom Pferd und das Bäumchen entzündet. Halloh! 
wie ein Rauschen ging's durch das Bataillon. Alte strömten 
zusammen; in weitem Kreise standen sie in ehrfürchtig 
schweigendem Staunen und Freuen um das winzige 
Weihnachtsbäumchen, als sei zu ihnen wie zu den Hirten 
auf dem Felde der Engel herabgestiegen. Und dann hub 
einer an, leise und zagend, andere stimmten ein, schlie߬ 
lich sangen wir es alle, das gute, alte Weihnachtslied von der 
stillen, heiligen Nacht. Leise und gedämpft stieg es empor, 
denn der Feind war nahe, und als es verklang, erlöschte 
Eine Kirche auf dem westlichen Kriegsschauplatz als Lazarett. 
ging's. Es war ein unheimlicher Gewaltmarsch, den wir 
am Heiligen Abend schließlich zurückgelegt hatten. Je näher 
wir der Stellung gekommen waren, desto mehr merkte 
man, daß vorne „was los war". Zahlreiche Verwundete 
kamen uns entgegen, lange Gefangenentransporte, leere 
Munitionskolonnen fuhren zurück, andere rasten vM uns 
vorbei nach vorn. Endlich wurde nach einem letzten Marsch 
i'ber Sturzäcker und durch, abgeholzte Wälder auf einer 
sumpfigen Wiese haltgemacht. Die Kompagnieführer 
und der Bataillonsführer ritten mit Herren des Divi¬ 
sionsstabes, dem wir nunmehr unterstellt waren, in die 
Dunkelheit hinaus, um das Gelände zu besichtigen. 
Wir standen frierend da. Die Feldküchen, die auf den 
Wald- und Feldwegen nicht hatten folgen können, 
waren noch nicht da, aus dem Bach durfte wegen Typhus¬ 
gefahr nicht getrunken werden; naß, kalt, hungrig, 
durstig und müde. Da erinnerte ich mich an ein kleines 
künstliches Weihnachtsbäumchen, das mir eine liebe, 
kleine Freundin gesandt. Ein Griff in die Satteltasche; 
das letzte Lichtchen. Wahrhaftig, mir traten die Tränen 
ins Singe, als ich diese todgeweihten Männer die schlichte 
Kinderweise singen hörte. Das war unser Heiliger Abend. 
Den ersten Feiertag erlebten schon viele nicht mehr. 
In später Nacht wurden wir vorgezogen. Die Schützen¬ 
gräben waren von der Artillerie derart zerschossen und 
zerwühlt, daß sie kaum noch Deckung boten. Trotzdem 
h atten die Brav en nicht nur eine Reih e v on kurz aufeinander¬ 
folgenden Sturmangriffen, teilweise unter Bajonett¬ 
kampf, abgewiesen, sondern sogar noch 450 Gefangene 
gemacht! Nur ein kleiner Teil eines weit vorgeschobenen 
Grabens war von den Franzosen besetzt worden. Da 
kamen wir nun, von Schrapnells begrüßt, hinein. Ein 
furchtbarer Eindruck. Bis zum 29. Dezember hielten 
wir die Stellung; aber sollte ich angeben, was an den 
einzelnen Tagen geschah, es wäre unmöglich. Wie in einem 
drückenden Traume lebten wir diese Tage hin, an beiden 
Flügeln unsere braven Leute von Granaten keine Minute 
verschont, im Zentrum 8 Meter vor uns der Feind.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.