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was nun werden sollte— da kam ein starkes Fanchen
und Zischen durch die Lust und riß mit einem mächtigen
Knall 50 Meter über ihm auseinander. Er sah noch,
wie das gelb-weiße Wölkchen vor ihm leicht vom Wind
weggeführt wurde. Zu gleicher Zeit haute rechts von
ihm eine Granate mit gräßlicher Wucht in die dünne
Schützenlinie ein und warf einen Kameraden 5 bis 6 Meter
in die Höhe. Znerst war's wie ein Aufhorchen in der
ganzen Linie. Beim zweiten Schuß schon schrie alles
auf den Leutnant ein: „Eigene Artillerie! Artillerie
schießt zu kurz!". Der feuerte in größter Eile feine beiden
letzten Leuchtkugeln ab und sprang drei Schritt nach rechts
in ein Granatloch. Jetzt wieder zwei Schuß von hinten —
einer dicht hinter dem Führer in den Dreck — Gott sei
dank, ein Blindgänger! Aber hier konnte man nicht
bleiben. „Langsam zurückkriechen!" befahl der Leutnant.
Einige aber hatten's eilig/ fprangen auf und liefen
zurück. Sofort setzte ein wildes Jnsanterieseuer der
soeben zurückgegangenen Russen aus das kleine Häuslein
ein. Die stolperten durch den tiefen Schnee und stürzten
wie die Hasen zur Erde. Manche überschlugen sich oder
taumelten langsam nieder und blieben liegen. — Dann
setzte noch eine schwere russische Batterie aus der Flanke
ein und saß mit dem dritten oder vierten Schuß mitten
in der Schützenlinie, die nach allen Seiten auseinander
stob. Jeder dachte zunächst nur an sich und suchte aus
dem Granatfeuer herauszukommen. Aber der Russe
ging immer mit mit seinen schweren Granaten. Es war
etwa 8 Uhr vormittags. Jeder einzelne Mann auf der
blanken Schneedecke deutlich zu sehen, und alles schoß
auf die paar Leute, die da von Strauch zu Strauch, von
Granatloch zu Granatloch sprangen. — Richard Hoyer
blieb bei seinem Leutnant. Zuerst krochen sie auf dem
Bauch durch den Schnee. Als dann etwa 10 Meter vor
ihnen eine schwere russische Granate krepierte, sprangen
sie auf und stürzten etwa 20 Meter nach rechts seitwärts.
Aber da knatterte ein Maschinengewehr vom Russen¬
kastell herüber, daß sie in den sicheren Tod gelaufen
wärett. So krochen sie weiter im Schnee und ließen die
Geschosse über sich weg singen. Dann krepierten zwei
Schrapnells dicht über ihnen. Gott sei dank, daß diese
Dinger nur nach vorn streuten, sonst hätten sie ihnen
beiden trotz der Stahlhelme den Körper zersiebt. „Los,
Richard!" schrie der Leutnant, „hier hauen sie'uns zu
Hackfleisch!". — Mit einem Ruck schnellten sie auf,
würgten durch den Schnee und stürzten 10 Meter weiter
kopfüber in ein Riefengranatloch. Der Leutnant ver¬
schwand gleich bis zum Bauch im Sumps. — Mit einer
' flüchtigen Freude des Aufatmens kam ihnen zugleich ein
derber Schreck. Sie waren mit einem Male in Gesell¬
schaft. Einer lag an den Trichterrand gedrückt, winkte
mit dem Arm und rief in schlechtem. Deutsch: „Ich bin
russischer Offizier!". — Dabei fuchtelte er immer mit
dem Revolver durch die Lust. Neben ihm lagert noch
Zwei russische Soldaten, die machten ängstliche, jämmer¬
liche Gesichter. Richard Hoyer schlug dem Offizier mit
der Faust über den rechten Unterarm, daß der Revolver
über den Trichterrand flog. Der Offizier, nach feinen
Achselstücken Oberleutnant, war ein Manu in den besten
Jahren, schlank, kräftig wie ein Ringkämpfer — mit
festen, energischen Linien im Gesicht, das immer noch
einen Zug von verhaltener Entschlossenheit und be¬
leidigtem Trotz zeigte. Der eine der beiden Soldaten
hatte das breite, stumpfsinnige und ausdruckslose Gesicht
der Durchfchnittspanjes; er hatte einen leichten Fleisch-
fchufi im linken Unterschenkel — der andere war noch
halb ein Junge, etwa von 18 oder 19 Jahren, mit frischem,
klugem Gesicht. Er war Kriegsfreiwilliger, Rigaer Gym¬
nasiast, und sprach sehr gut Deutsch. — Diese ganze
Musterung war in 2 Sekunden erledigt. Nun hieß es:
Wie weiter? Gerade auf dieses Granatloch hatte sich
ein russisches Maschinengewehr genau eingeschossen.
Dauernd sitschten die Geschosse knapp über den Trichter¬
rand, und. die Granaten schlugen wieder ganz iu der
Nähe ein, als ob sie gerade dieses Granatloch suchten.
Die drei Russen konnten unmöglich hier zurückbleiben.
Die hätten ganz sicher nach einigen Metern Entfernung
den Tod hinterdrein geschickt. Mindestens sah der Ober¬
leutnant ganz so aus. — Der Kriegsfreiwillige mußte
vermitteln. Dann kroch der verwundete Russe über
den Rand des Granatloches, hinterher der Rigaer
Gymnasiast, dann Richard Hoyer — ganz langsam und
vorsichtig, den Bauch dicht auf den Schnee gedrückt.
In einem Abstand von etwa 20 Schritt kam nach etwa
5 Minuten der russische Oberleutnant, der sich noch
gesträubt hatte, dann der Leutnant. Richard Hoyer kam
sich bei der ganzen Sache recht komisch vor — es wollte
ihm wie ein toller Scherz erscheinen, wenn die ganze
Lage nicht so furchtbar ernst gewesen wäre. War doch
um sie herum ein Singen und Zischen in allen Ton¬
arten. So arbeiteten sie sich zu sünsen mit unsäglicher
Mühe und Anstrengung an vereinzelten kahlen Büschen,
an Toten und Verwundeten vorbei. Die lagen wie
gesät im Gelände, riefen, stöhnten und lagen reglos
wie eine stumme Anklage im Schnee. Es war zum Herz¬
zerbrechen. Die gefangenen drei Russen antworteten hin
und wieder auf den Jammerruf eines Verwundeten.
Dann kam oft noch lange ein gequältes Wimmern und
Weinen hinter den Fünfen her. Das klang wie langsames
Sterben. — —
»Herr Leutnant — wir müssen halten — der ver¬
wundete Russe kann nicht mehr," rief Richard Hoyer
über den Schnee hin.
„Noch ein paar Schritt bis hinter den großen Busch
da vorn," kam's von hinten. Zufällig war da auch
wieder ein großes Granatloch. Da konnte man sich
etwas umsehen. — —
„Richard — wo sind die andern?" fragte der Leut¬
nant ernst und sah ins Gelände. Das lag voller Menschen
— lauter tote und verwundete Russen übereinander unb
burcheinanber. Wer wollte dazwischen die eigenen Leute
finden? Aber dort 100 Meter etwa rückwärts —
kroch einer über den Schnee. Man konnte sehen, wie er
die Beine langsam anzog unb sich bann ebenso langsam
wieber vorschob — ein Mann im Helm ohne Spitze.
„Herr Leutnant — bort!" — Plötzlich war bet drüben
in einer Wolke von Dreck unb Qualm verschwunden. —
Nein, nicht getroffen — ba lief er aus ber aus steigerten
Granatwolke heraus unb stürzte 20 Schritt weiter in
ben Schnee.
„Wilhelm — hierher — Wilhelm!" Der würbe
ihn ja boch nicht hören. Aber Richarb Hoyer ragte bis
über bie Brust aus bem Granatloch heraus unb winkte
hinüber. — Wilhelm Kunze aber blieb lange — länge —
regungslos liegen — bann wälzte er sich schwerfällig
langsam zur Seite, richtete fein Gewehr auf unb fing an
M winken. Das Gewehr schwankte wie ein sinken ber
Mast herüber unb hinüber unb verschwanb bann wieber
im Schnee. Man sah, baß ber Mann ba brüben bas
Gewehr wieber in bie Höhe ausbringen wollte — wie
er versuchte, sich ein wenig auszurichten — aber er ver¬
mochte es nicht mehr.