Volltext: 125. Heft 1914/17 (125. Heft 1914/17)

eingebrochen war. Bei Morgengrauen rückten sächsische 
Jäger in die gefährdeten Grabenstücke, doch wurde stünd¬ 
lich mit einem entscheidenden Sturm des Gegners auf 
den Rest der vorderen deutschen Linie gerechnet. Schon 
lag das feindliche Sperrfeuer auf erstem und zweitem 
Graben. Nun kam alles darauf an, den beiden Füsilier¬ 
kompagnien vorn Botschaft zu bringen und Mahnung zum 
Ausharren. Man fragte nach einem, der die Todesfahrt 
freiwillig übernähme. Da meldet sich ein unscheinbares 
Kerlchen, der bisher weder im Guten noch im Schlechten 
aufgefallen war. Ein ganz Stiller. Der fagte auf den 
fragenden Blick des Kompagnieführers: „Ich tu's gern, 
Herr Hauptmann, und mit Gottes Hilfe komm' ich 
bestimmt zurück, das fühl' ich." Es lag in Art und Worten 
dieses Jägers etwas so Schlichtes, Feierliches und Er¬ 
habenes, das; alle Umstehenden seltsam ergriffen und 
zuversichtlich wurden. — Der Mann glitt aus dem 
Graben. Er kam durch den Hagel von Granaten, hart 
unter den französischen Gewehren vor sich und in beiden 
Flanken, zu den preußischen Kameraden, wirkte dort 
durch seine Ruhe und Freundlichkeit wahrhaft erlösend, 
und keine Stunde, da sprang er mit einem Satz in den 
Jägergraben der zweiten Stellung zurück. Ich muß 
noch einmal gehen, sagte er leise, die Kameraden haben 
Hunger und Durst. — Er ließ sich nicht abhalten, wiewohl 
der Morgen stärker graute. Man bepackte ihn, so viel 
nur auf ihn ging. Keiner glaubte, daß er nochmals 
durchkommen würde. Einmal meinte man, ein Voll¬ 
treffer sei mitten über ihm eingeschlagen, und man 
konnte sich nicht genug verwundern, als man ihn zwei 
Stunden später nach geglücktem Vorstoß bis zum vor¬ 
dersten Grabe» unter der Besatzung der überlebenden 
Füsiliere so still und gleichmütig wie immer traf. Er 
brachte vor dem nun einsetzenden Sperrfeuer die todmüde 
Besatzung anf einem Wege zurück, den er sich bei seinem 
zweimaligen Todesgauge erkundet hatte. Und alle kamen 
heil bis Ablain. 
Ant 25. September 1915 war es den Engländern 
geglückt, im Upernbogen links der großen Straße Meenen 
—Apern durch mächtige Sprengungen eine Regiments¬ 
front einzudrücken und weiter nördlich ant Bellewaarde- 
jee in gleicher Breite bis zur zweiten Linie einzudringen. 
Nur ein berühmtes sächsisches Regiment hart rechts der 
genannten Straße hielt seine Stellung, doch war es in 
äußerster Gefahr, da die Engländer alles daran fetzten, 
de» gewonnenen Vorteil auszunutzen und von beiden 
Flanken das unerschütterliche Regintent zu fassen. Höchste 
Eile tat not. Wenn es gelang, die Reserven aus dem 
Hintergelände bald heranzubringen, um im forsche» 
Gegenstoß die Briten aus den deutschen Gräben zu 
werfen, ehe sie sich fest darin verschanzt hatten — so war 
die Absicht des Gegners vereitelt.' 
Mit den höheren Stäben fehlte jede Verbindung. 
Die zahlreichen Leitungen waren zerschossen, denn die 
Engländer trommelten auf die Front des sächsischen 
Regiments, die Straßen ttnd das gesamte Hintergelände 
unaufhörlich. Da erbot sich der Bursche des Majors, 
der im Stabsuuterstand der zweiten Linie die Kainpf- 
handlung leitete, die Meldung ans Regiment zn über¬ 
nehmen. „Aber Menschenbeine nutzen uns nichts", be¬ 
merkte der Major. — „Ach, ich finde schon Pferde", 
sagte der Bnrsche, ein gedienter Artillerist. „Wenn ich 
nur bis zum SS erbn» dsunt erstand komme; dort stehe» 
welche." „Nu» de»»," sprach der Offizier nicht ohne 
Rührung, „versuchen Sic das Menschenmögliche". 
Der Bursche rannte los. Die schweren Granaten 
schlugen um ihn ein. Er nahm den nächsten Spreng¬ 
trichter und wieder. Schott sah matt ihn im Wäldchen 
von Herenthage verschwinden. Im Sanitätsstollen 
wollten sie ihm kein Pferd geben. Sein Fordern war 
so dringlich, er erklärte, der Kommandierende selber werde 
für das eine Sanitätswagenpferd auskommen, das etwa 
draufgehe —, daß der Arzt vom Dienst, vom .Heroismus 
des Reservisten ergriffen, einwilligte. Und nun begann 
die tolle Jagd querfeldein Über alte, verfallende Stel¬ 
lungen, über wassergefüllte alte Granattrichter, durch 
Drahtverhaue von Reservestellungen. Das Pferd blutete 
stark, es hatte einen Granatsplitter abbekommen — aber 
der Reiter kam heil am Regimentsstand an und schon 
spielte der Draht, der die wartenden Reserven heranzog. 
Der Bursche, wiewohl erschöpft, ließ sich's nicht nehmen, 
mit den alsbald eintreffenden Stoßbataillonen wieder 
vorzugehen. Der Oberst bot ihm sein Pferd an, und 
der treue Mensch galoppierte den gleichen Weg mit 
wichtigen Instruktionen für feinen Major zurück. Das 
abgepreschte Pferd stellte er im Sanitätsunterstand ein: 
„Hier ist Ersatz!" — fort war er schon. 
Beim Kampf gegen Dorf Douaumont im März 1916 
hatten es die Essenholer besonders schlecht. Die Truppe 
litt trotz eisiger Kälte schwer unter Durst. Heißer Kaffee 
war nötiger als alles Essen. Doch ging der Weg zur 
Speisestelle durch eine wahre Hölle. Man mußte aus 
dem Ehaussourwald im Grunde heraus und über 
800 Meter freies Feld. Aber welches Feld: Knietiefer, 
kotiger Lehnt, Granattrichter an Trichter und Tag wie 
Nacht schweres Feuer aus diesem einzigen Anmarsch¬ 
gelände. Jedesmal kostete ein Gang zum Essenfassen 
kostbare Leute. Der Mannschaften bemächtigte sich nach 
zwei Tagen eine solche Nervosität, daß kaum einer mehr 
gehen mochte trotz grimmigen Hungers und Durstes. 
Nur einer war unermüdlich beim Holertrupp zu sehen: 
ein Einjähriger, ein Kerl wie ein Schlagetot, dick und 
phlegmatisch. Seine Gruppe hatte ihre liebe Not gehabt, 
ihn satt zu kriegen. Er ließ sich lieber bedienen, als daß 
er selber zugrisf und lohnte mit Zigaretten und Schnaps. 
Er hieß in der Kompagnie „der Einjährige Nimmersatt". 
Die Leute wollten ihren Augen nicht trauen, als er 
sich vor Verdun „entdeckte". Zuerst meinten sie, der 
Hunger triebe ihn. Bald sahen sie, daß es nicht der 
Hunger und Durst allein war. Der dicke Schlagetot 
empfand eine wahre Wonne dabei, mit dem Tode zu 
spielen ... zweimal am Tag. Es war wie eine Wollust 
des Heroismus über ihn gekommen. Als geborner Führet 
beherrschte er alsbald seinen Holertrupp durch die knotige 
Ruhe und grämliche Trockenheit seines Humors in 
schlimmer Lage. Wenn er mit seinem Trüppleitt ab¬ 
rückte und wieder einlief, dann schmunzelten die Leute. 
Er brachte seine Getreuen wie der gute Eckart erträglich 
durch die Hölle der Höhe 378. Schon schrieben ihm die 
abergläubischen Kameraden Unverwundbarkeit zu. 
Die Kunde seines Rufes drang bis zur Regiments¬ 
führung. Man brauchte so einen wie ihn als gegebenen 
Meldegänger, denn vorn gittg's schlimm her, Verbindung 
mit Artillerie fehlte ganz und jede Strippe, mit Verlusten 
kaum gelegt, war binnen einer Stunde zerschossen. Und 
was für einen Bombengriff der Oberstleutnant mit dem 
„Nimmersatt" gemacht hatte, das ward so recht offenbar 
nach den ersten Gängen des kugelrunden Botenläufers, 
der nebenher feinen Essenholerdienst getreulich weiter 
versah. Sein Glanzstück leistete er am 4. März 1916.
	        
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