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nicht vorstellen darf, daß die deutsche Stellung genau
dem Flußlauf folgte. Viele Teile dieser Stellung waren
weiter vorgeschoben, wenn es durch das Verhalten des
Gegners geboten war. Einer der Hauptstützpunkte der
Verbündeten war Reims, und es entsprach einer Forde¬
rung der Kriegslage, diesen vor der deutschen Front
liegenden Punkt nicht unbeschäftigt zu lassen. Als in
den ersten Tagen des September die deutschen Armeen
des rechten Flügels in raschem Ansturm zwischen Paris
und Reims gegen die Marne vorstießen, blieb Reims
zunächst außerhalb des Bereichs der deutschen Ope¬
rationen. Es hieß, die Stadt sei von den Franzosen
geräumt worden. Die 3. Armee (Generaloberst von
Hausen) stand der durch einen Fortgürtel geschützten
alten französischen Krönungsstadt am nächsten. So ge¬
schah es, daß Reims eines Tages das Opfer eines kecken
Reiterstückchens weniger sächsischer Husaren wurde.
Da noch
am 3. Sep¬
tember nichts
davon zu er¬
fahren war,
ob die Aussa¬
ge der Landes¬
einwohner
von der Räu¬
mung dieser
Stadt durch
die Franzo¬
sen richtig sei,
beschloß man,
diesen Sach¬
verhalt durch
eine Offizier-
patrouille fest¬
stellen zu las¬
sen. Der Ritt¬
meister eines
sächsischen Hu¬
sarenregi¬
ments, von
Humbracht,
erhielt am 4V
den Auftrag dazu. Seiner Aufforderung zur freiwilligen
Teilnahme an dem Ritt folgten sofort mehrere Offiziere
und zwanzig Mann, von denen er aber nur drei Offiziere
(Oberleutnant von Steinaecker, Leutnant Martini und
Leutnant von Waldow), einen Fähnrich, einen Unter¬
offizier, einen Trompeter und sechs Husaren auswählte.
Auf versteckten Waldwegen gelangte die Patrouille in
scharfer Gangart bis in die Nähe des Forts Vitry les
Reims. Als die Reiter in die Feuerzone des Forts und
in offenes Gelände kamen, galoppierten sie in einer Linie
mit weiten Zwischenräumen vor, überzeugten sich aber
bald, daß das Fort in der Tat unbesetzt war. Sie fanden
unterwegs einen bombensicheren Unterstand und mehrere
frisch hergestellte, aber verlassene Schützengräben. Nach
zurückgesandter Meldung setzte die Patrouille den Weg
fort und kam gegen 9 Uhr abends ungehindert an die
Stadtgrenze von Reims. Ohne Besinnen ritten sie in
die Stadt ein, deren Straßen von Neugierigen gefüllt
waren, und begaben sich nach dem Rathause, wo der
Bürgermeister die Ratsherren versammelt hatte und den
ungebetenen Gästen entgegentrat. Es wurde ihm kurzweg
erklärt, daß die Stadt in deutschem Besitz sei und er per¬
sönlich als Geisel für das Wohlverhalten der Bürger hafte.
Während Leutnant Martini zurückgesandt wurde, um der
Division und dem Generalkommando die Besitznahme der
Stadt zu melden, und der Fähnrich für die Unterbringung
der Mannschaften und Pferde sorgte, blieben Rittmeister
von Humbracht, Leutnant von Waldow und Unterof¬
fizier Arnhold die Nacht über mit dem Bürgermeister
zusammen im Sitzungssaale des Rathauses. Dort wurden
Matratzen bereitgelegt, auf denen die Herren ruhen konn¬
ten, während einer von ihnen Wache hielt. Am 5. Septem¬
ber früh, verließ die Patrouille die Stadt, aber nur um
am Nachmittag desselben Tages an der Spitze der neu
einrückenden sächsischen Brigade von Suckow wieder zu
erscheinen.
Am folgenden Tage begannen bekanntlich die Kämpfe
an der Marne, die in ihren weiteren Folgen eine ver¬
änderte Kriegslage herbeiführten. Im Zusammenhang
damit stand es, daß auch Reims von den deutschen
Truppen wie¬
der geräumt
wurde. Die
Franzosen
rückten nun
wieder in die
Stadt ein und
bereiteten sich
diesmal auf
eine hart¬
näckige Ver¬
teidigung des
Platzes vor.
Bis Mitte
September
hielten sie noch
die Hoffnung
fest, daß es
ihnen durch
eine kräftige
Offensive
glücken würde,
die deutschen
Stellungen
aufdieserLinie
zu durch¬
brechen. Mit jedem neuen Tage aber stellte es sich deut¬
licher heraus, daß die geplante Offensive nicht durchzu¬
führen war, im Gegenteil die Deutfchen sich anschickten,
ihre Stellungen in energischer Gegenoffensive wieder
vorzuschieben. Noch stand der linke Flügel der zwischen
Paris und Verdun vorgedrungenen deutschen Heeres¬
teile an der Marne; nur der rechte Flügel war an die
Aisne zurückgezogen und deshalb in der Mitte Reims
freigegeben. Wie stark die deutsche Stellung an der
Marne — westlich von Chalons — in diesen Tagen noch
war, wird uns wiederum durch einen Berichterstatter
einer neutralen Macht bezeugt. Er erzählt, die Schanzen
seien meterstark, in Zwischenräumen von zwanzig Metern
durch Stahlplatten geschützt und durch mit Erde bedeckte
Baumstämme befestigt. Die Mafchinengewehre hätten
unsichtbare Stellungen inne, die schwere Artillerie schieße
hinter Gräben. Aus dieser Schilderung geht hervor,
daß die deutschen Truppen, wenn sie nach dem 15. Sep¬
tember hier noch so stark befestigte Stellungen inne hatten,
schwerlich in den unmittelbar vorangegangenen Kämpfen
entscheidend geschlagen sein konnten, wie die französischen
Berichte der Welt glauben machen wollten. Daß zunächst
nicht daran gedacht wurde, den bisherigen Plan aufzu-
Phot. A. Groß, Berlin.
Generaloberst von Silit cs mit seinem Stabe.