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H. Kraemer: Die Landwirtschaft und der Krieg
eine stärkere Abschlachtung notwendig erscheinen. Auch ein verminderter Bier
genuß zur Schonung der Gerste wäre bei dem Ernst der Kriegszeit von Anfang an
zu begrüßen gewesen. Dem „Deutschen Verein für Volksernährung“ wird das Ver
dienst bleiben, immer wieder nachdrücklich auf diese Fragen verwiesen zu haben.
Wir hoffen, daß ihm künftig nicht nur der Trost des ,,in magnis voluisse“ verbleibt,
sondern daß seine Anregungen soweit Beachtung finden werden, als es sich mit den
wirklichen Notwendigkeiten unseres Wirtschaftslebens verträgt. Die Interessen der
einzelnen Berufsstände können, zumal in Kriegszeiten, nicht die Rücksichten auf
das Gesamtwohl des Vaterlandes trüben.
1916 haben wir gerade in Hafer und, Gerste eine ausgezeichnete Ernte gehabt,
sodaß sie den Ausfall an Brotgetreide etwas abmildern konnte. Die Kartoffeln
haben leider versagt, auch wenn vielleicht mit dem Ablauf des langen Winters
1916/17 sich der Vorrat doch noch erheblicher herausstellen sollte, als wie geschätzt
wurde. Die Erdkohlrabi haben bekanntlich als Ersatz eintreten müssen, aber hart
und bitter sind die Zeiten ganz ohne Zweifel. Die Sparsamkeit im Verbrauche des
Fleisches, die unsere Viehstände schonte, wird zunächst eine Erhöhung der Rationen
ermöglichen, wobei im Notfall der Staat durch Lieferung billiger Zulagen und
Tragung der Kosten eingreifen muß. Die Lebensmittelerzeugung muß als nationale
Frage allererster Bedeutung anerkannt werden, aber nicht nur im Gesichtspunkt der
verbrauchenden Kreise. Hat die Landwirtschaft all die Eingriffe im vaterländischen
Belang zu ertragen, so ist auch die Förderung ihrer Erzeugung ein sittliches Gebot.
Wir hätten beispielsweise besser getan, das französische System der Prämiierung
von Anbauflächen nicht als Zeichen kommender Not zu erkennen, sondern als den
Ausdruck fürsorglicher Maßnahme für den Erzeuger, die viel volkswirtschaftliche
und organisatorische Einsicht verrät. Schafft erst Waren herbei, alles andere wird
sich dann finden!
Alles in allem: Die Leistung der Landwirtschaft hatte sich schon vor Kriegs
ausbruch bis zu einer Höhe entwickelt, die alle Verhältnisse anderer Kulturstaaten
mehr oder weniger weit übertraf. Das hochstehende Gewerbe der deutschen Boden
kultur darf deshalb auch den berechtigten Anspruch auf Wertschätzung von seiten
des gesamten Volkes erheben. Daran aber hat es leider schon in Friedenszeiten
gefehlt, und das ist wohl auch mit die Schuld, daß das Urteil städtischer Kreise nun
auch in den Kriegsjahren der Landwirtschaft nicht gerecht werden konnte. Hätte
in dieser Beziehung mehr Einsicht bestanden, und hätte man folgerichtig die Fach
leute nun an die maßgebenden Stellen gesetzt, so wären dem deutschen Volke kaum
so harte Zeiten erwachsen. Die Zukunft wird wohl mehr Erkenntnis verbreiten,
und von ihr wollen wir hoffen, daß sie zum Frieden und zur Versöhnung zwischen
Stadt und Land führe. Einstweilen bleibt die Hauptsache das stolze Gefühl,
daß die deutsche Landwirtschaft ihre Riesen auf gäbe zu erfüllen vermochte.