Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

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W. Klingelhöffer 
wohl einen Menschen, der an den erloschenen Augen eines Kriegsblinden ungerührt 
von Mitleid Vorbeigehen könnte ? An werktätiger Hilfe hat es nicht gefehlt, schon 
sind aus freiwilligen Gaben 5 Millionen zusammengeflossen. Jeder möchte etwas 
tun, um so einem Unglücklichen sein trauriges Geschick zu erleichtern. Eins muß 
er aber dabei vermeiden. Nie wollen wir dem Blinden sagen, daß wir ihn für un 
glücklich halten, weil er einen so furchtbaren Verlust erlitten hat. Würden wir nicht 
dadurch seine oft mühsam erkämpfte Seelenruhe immer wieder aufs neue erschüttern ? 
Bekämpfen müssen wir mit allen Mitteln, daß sich bei dem Blindgewordenen der 
Gedanke festsetzt, er sei abhängig, sei eine unbrauchbare und unnütze Last für 
die Seinen. Immer und immer wieder müssen wir die Überzeugung zu erwecken 
suchen, daß auch für ihn das Leben noch lebenswert sein kann, daß auch er noch 
in der menschlichen Gesellschaft eine vollwertige Rolle zu spielen vermag, daß die 
Abhängigkeit, in die ihn ja sein Leiden bringt, doch nicht so drückend ist, als er 
sich vorstellt. Noch besser, noch überzeugender als wir, bei denen im Unterbewußt 
sein doch vielleicht eine entgegengesetzte Ansicht sich empordrängen will, wird 
der Verkehr mit Leidensgenossen wirken, insbesondere wenn einer darunter ist, 
der sich mit seinem traurigen Geschick ausgesöhnt und auf den Trümmern seines 
Glücks ein neues tatenreiches, Befriedigung bringendes Leben aufgebaut hat. 
Deshalb halte ich die Ansicht derer für die richtige, welche einem gemeinsamen 
Unterricht der Kriegsblinden das Wort reden. Damit soll aber nicht gesagt 
sein, daß man während des Lazarettaufenthaltes den Blinden nicht schon beschäf 
tigen könnte. Im Gegenteil, sobald es sein körperliches Befinden erlaubt, wäre 
gleichsam spielend mit dem Unterricht in der Brayleschen Punktschrift zu beginnen 
und er daran zu gewöhnen, sich zurechtzufinden und allein umherzugehen, was 
den plötzlich erblindeten Erwachsenen sehr viel schwerer wird als blinden Kindern. 
In dem späteren Unterricht durch Fachlehrer wird er gründlich die Punktschrift 
lernen, vielleicht auch die Kurzschrift, um sich der Blindenbibliotheken bedienen 
zu können. Auch soll er seine gewöhnliche Schreibschrift weiter treiben. Beim 
Eflernen der Schreibmaschine wird der Blindenlehrer ebenfalls besser lehren können 
als der Laie, der sich doch nicht so in das hineindenken kann, was der Nichtsehende 
an Hilfe braucht. In Verbindung mit dem Parlograph oder Diktaphon kann er 
sich schriftlich betätigen und selbständige Arbeit leisten. Zur Übung der manuellen 
Geschicklichkeit könnte er eins der Blindengewerbe betreiben: Stuhl- und Korb 
flechten, Hängematten- und Netzstricken, bis es an die Berufswahl geht. Als 
Grundsatz soll dabei gelten, wenn tunlich den alten Beruf beizubehalten oder einen 
ihm ähnlichen zu erlernen, z. B. Buchbinder, Kübler, Drechsler, Schuhmacher, 
Tischler, Tapezier, Gärtner, Landwirt. Das ist möglich. 
Es erscheint nützlich, den Blinden nicht zugleich bei der Entlassung aus dem 
Lazarett auch aus dem Militärdienst zu entlassen, da oft ein gewisser Zwang nötig 
ist, bis die nötige Energie zum Lernen gefunden wird. 
Bei allem Gesagten handelt es sich natürlich nicht nur um die völlig Blinden, 
denen jeder Lichtschein fehlt, sondern auch um die Sehschwachen, die sich nicht 
allein zurechtfinden und ohne Unterricht nicht mehr in der bisherigen Weise 
ernähren können. In einzelnen Fällen konnte noch durch die Zeißschen Fern 
rohrbrillen und Fernrohrlupen die Möglichkeit einer Betätigung erreicht werden.
	        
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