Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

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Robert Sommer 
Neben der Feststellung der Art der Verletzung ist die Behandlung der Wunden 
und die Verhütung der Wundkrankheiten von größter Bedeutung. Die prophy 
laktische Aufgabe besteht darin, die Wunde wenn möglich keimfrei zu halten und 
Eiterung mit ihren mannigfaltigen Folgen zu verhüten. Tatsächlich kommen eine 
Reihe von Verletzungen besonders bei glatt durchschlagenden Infanteriegeschossen 
vor, die nicht infiziert sind und infolge des bald angelegten Verbandes auch keimfrei 
bleiben, sodaß eine glatte Heilung eintritt. Andererseits sind sehr viele Wunden 
infiziert, was einerseits darauf beruht, daß mit dem Geschoß Reste von Kleidungs 
stücken usw., die Infektionsträger sind, in die Wunde hineingerissen werden, oder 
daß nach der Verletzung eine Infektion eintritt. Tatsächlich ist die überwiegende 
Zahl der Wunden, die in den Lazaretten zur Behandlung kommen, infiziert. Aber 
gerade hierin zeigt sich der Fortschritt der Chirurgie in den vergangenen 47 Jahren 
seit dem 70er Krieg am deutlichsten, daß trotz dieser Beschaffenheit der Wunden 
die Heilung ohne Absetzung der getroffenen Glieder eine außerordentlich häufige 
ist. Abgesehen von der notwendigen Reinigung der Wunden, Entfernung von 
Knochensplittern oder völlig zerquetschtem oder abgestorbenem Gewebe, welches 
sowieso durch Eiterung aus dem Körper entfernt werden würde, ist die Kriegs 
chirurgie im Gegensatz zu früher außerordentlich konservativ geworden, und die 
günstigen Heilerfolge geben ihr durchaus recht. Dabei ist von wesentlicher Be 
deutung, daß die Wundbehandlung in der Vermeidung und Bekämpfung der 
sekundären Wundkrankheiten, besonders der Blutvergiftung, d. h. der allgemeinen 
Überschwemmung des Blutes mit infektiösem Material, durch das von Bier schon 
vor dem Krieg geübte Stauungsverfahren eine außerordentliche Verbesserung er 
fahren hat. Das Verfahren besteht darin, daß der Abfluß der Flüssigkeit aus den 
von einer Verwundung betroffenen Körperabschnitten durch Stauung gehemmt wird. 
Die Wirkung dieses Verfahrens ist jedoch keinesfalls nur unmittelbar im Sinne eines 
verminderten Abflusses aufzufassen,' sondern es entstehen durch die Stauung in dem 
Gewebe eine Reihe von Wirkungen, die zugleich der Entzündung entgegenwirken. 
Auf die besondere Theorie dieser für die Heilkunde außerordentlich wichtigen 
Wirkungen kann hier nicht eingegangen werden, ebensowenig auf die genaue Technik 
des Verfahrens. Dieses ist gerade im Lauf dieses Krieges in bezug auf die Art und 
die zeitlichen Verhältnisse der Stauung noch weiter entwickelt worden und hat bei 
der Wundbehandlung eine immer größere Bedeutung gewonnen. 
Ferner halte ich nach meinen klinischen Erfahrungen mit dekubituskranken 
Soldaten, die besonders nach Rückenmarksverletzungen an den Druckstellen 
der Rückseite ihres Körpers zahlreiche abgestorbene Partien mit tiefgehenden 
Eitermagen hatten, eine Behandlung offner Wunden im Warmwasserbad für außer 
ordentlich zweckmäßig und ziehe gerade bei schweren Eiterungen dieses Verfahren 
der dauernden Behandlung mit Verbänden durchaus vor. In diesen sammeln 
sich die Sekrete der infizierten Wunde an, während sie im Warmwasserbad unge 
hindert abfließen können. Die Gefahr der weitergehenden Infektion mit Ver 
schleppung des infektiösen Materials in das Blut (Pyämie, Septicämie) wird dadurch 
wesentlich geringer. Allerdings gehören zu dieser Behandlung besondere Bäder- 
«einrichtungen mit guter technischer Installation und dauernder Warmwasser- 
Bereitung, sodaß das Wasser leicht und ohne Gefahr für den Kranken erneuert
	        
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