Volltext: Deutsche Naturwissenschaft, Technik und Erfindung im Weltkriege

Zur Psychologie des Krieges und der Erfindungen 
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Es ist dies jedoch psychologisch nicht haltbar. Der Sinn der militärischen Erziehung 
kann nur darin bestehen, dem einzelnen Rekruten die Herrschaft des Willens über 
seine Muskulatur zu geben und den einzelnen Willen in die Gesamtheit einzuordnen. 
Nur wenn der Individualwillein dem Ge samt willen einer größeren Gemein 
schaft aufgeht, können vom sozial-psychologischen Standpunkt aus größere 
Wirkungen im Sinne der Organisation eines Volkes geschehen 1 ). 
VII. Aussage * 2 ). 
Die Psychologie der Aussage ist in den letzten Jahrzehnten von psychologischer 
und psychiatrischer Seite eingehend behandelt Avorden. Dabei sind besonders auch 
im pädagogischen Gebiet eine ganze Reihe von Untersuchungen angestellt worden. 
Bei der Beurteilung der Aussage kommen die sämtlichen psychischen Momente, 
die wir bisher behandelt haben, in Betracht. Wenn man die Forderung stellt, daß 
die Aussage einem Tatbestand entsprechen soll, so zeigt sich in Wirklichkeit eine 
Reihe von Störungen in dieser Beziehung. Häufig war die sinnliche Wahrnehmung 
im Augenblick des Geschehens durch irgendwelche Umstände geschädigt, was 
entweder auf der Beschaffenheit der Sinnesorgane oder auf zufälligen äußeren Hemm 
nissen beruhen kann. In diesen Fällen wird der Tatbestand von vornherein lückenhaft 
aufgefaßt, und den Gegenstand der Aussage bildet alsdann nicht der ganze wirkliche 
Tatbestand, sondern das Teilbild davon, das durch die Wahrnehmung ins Bewußt 
sein getreten ist. 
Selbst wenn man nun annimmt, daß durch die sinnliche Wahrnehmung alle 
Teile eines Geschehens richtig erfaßt sind, so tritt in vielen Fällen der Mangel 
des Gedächtnisses als eine Störung auf. Es werden Teile der ursprünglichen 
Wahrnehmung ausgeschaltet, und gerade in diesen Fällen geschieht häufig eine 
unwillkürliche Ergänzung der Gedächtnislücken durch Assoziationen. Diese 
sind auch insofern wirksam, als von einzelnen Teilen der Wahrnehmung Assozia 
tionsketten ausgehen, sodaß neben dem eigentlichen Tatbestand eigene Vor 
stellungsreihen sich um die Erinnerung schlingen und die eigentlichen Bestandteile 
des Tatbestandes verdecken. Bei manchen Menschen kann diese lebhafte assoziative 
Tätigkeit zu einer vollständigen Ausschaltung der früher vorhandenen Gedächtnis 
elemente führen, sodaß sich bei der Aussage eine Fälschung des Tatbestandes zeigt. 
Bei diesen Vorgängen gerät man aus dem Gebiet der normalen Psychologie viel 
fach in das der Psycho-Pathologie, wobei besonders das Gebiet der psychogenen 
Neurose (Hysterie) 3 ) in Betracht kommt. 
Ferner wirken bei der falschen Aussage ganz wesentlich die oben behandelten 
psychischen Komplexwirkungen mit, die schon bei der ersten Auffassung eines 
Tatbestandes vielfach zur einseitigen Betonung bestimmter Elemente, zur falschen 
Annahme von Beziehungen und zu Fehlurteilen über die Bedeutung von irgend 
welchen Vorgängen führen. Man kann oft beobachten, daß von Menschen, die in 
ausgeprägter Weise bestimmt festgehaltene psychische Komplexe zeigen, ganz 
*) Vgl. „Krieg und Seelenleben“, II. Kap. „Militär-Psychologie“. 
2 ) Vgl. „Krieg und Seelenleben“, X. Kapitel, „Zur Psychologie der Aussage“. 
3 ) Vgl. R. Sommer, Diagnostik der Geisteskrankheiten. Verlag von Urban & Schwarzenberg. 
II. Auflage. 1901. Seite 281.
	        
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